American Gods
begutachtete sich im Spiegel.
Er hatte ein Veilchen unter einem Auge – als er mit einem Finger versuchsweise darauf drückte, stellte er fest, dass es höllisch wehtat – und eine geschwollene Unterlippe.
Shadow wusch sich das Gesicht mit der hauseigenen Flüssigseife, dann trug er den Schaum auf und rasierte sich. Er putzte sich die Zähne. Er machte sich die Haare nass und kämmte sie zurück. Er sah immer noch ziemlich kriminell aus.
Er fragte sich, was Laura wohl sagen würde, wenn sie ihn so sähe, und dann fiel ihm ein, dass Laura nie mehr irgendetwas sagen würde, und da sah er, aber nur für einen Moment, wie sein Gesicht im Spiegel zuckte.
Er ging nach draußen.
»Ich sehe beschissen aus«, sagte Shadow.
»Kann man so sagen«, bestätigte Wednesday.
Wednesday trug eine Auswahl von kleinen Snacks zur Kasse und bezahlte sie zusammen mit dem getankten Benzin, wobei er seine Entscheidung in der Frage, ob er bar oder mit Karte bezahlen wollte, zweimal änderte, sehr zum Ärger der Kaugummi kauenden jungen Kassiererin. Shadow beobachtete, wie Wednesday immer nervöser wurde und sich tausendmal entschuldigte. Er wirkte plötzlich sehr, sehr alt. Die Frau gab ihm sein Bargeld zurück und setzte den Einkauf auf die Karte, dann gab sie ihm die Kreditkartenquittung und nahm sein Bargeld, um dieses anschließend zurückzugeben und eine andere Karte entgegenzunehmen. Wednesday war offenbar kurz davor, in Tränen auszubrechen, ein alter Mann, der sich in der modernen Welt mit all ihren Plastikkarten nicht mehr zurechtfand.
Sie verließen den geheizten Kassenraum, und ihr Atem dampfte in der Luft.
Wieder unterwegs: Wiesen mit braun werdendem Gras zogen zu beiden Seiten vorüber. Die Bäume trugen keine Blätter, waren wie abgestorben. Zwei schwarze Vögel saßen auf einer Telegrafenleitung und starrten ihnen nach.
»He, Wednesday.«
»Was ist?«
»Soweit ich es mitbekommen habe, haben Sie das Benzin eben gar nicht bezahlt.«
»Ach?«
»Soweit ich gesehen habe, hat die Frau am Ende Sie bezahlt, sozusagen für das Privileg, Sie in ihrer Tankstelle begrüßen zu dürfen. Glauben Sie, dass sie es inzwischen gemerkt hat?«
»Sie wird es nie merken.«
»Also, was sind Sie? Ein billiger Trickbetrüger?«
Wednesday nickte. »Ja«, sagte er. »Das bin ich wohl. Unter anderem.«
Er wechselte auf die linke Spur, um einen Lastwagen zu überholen. Der Himmel war von einem düsteren, gleichmäßigen Grau.
»Es wird Schnee geben«, sagte Shadow.
»Ja.«
»Dieser Sweeney. Hat er mir wirklich gezeigt, wie der Trick mit den Goldmünzen geht?«
»O ja.«
»Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Das kommt wieder. Es war eine lange Nacht.«
Mehrere kleine Schneeflocken wischten über die Windschutzscheibe, wo sie in Sekundenschnelle schmolzen.
»Der Leichnam Ihrer Frau liegt derzeit aufgebahrt im Bestattungsinstitut Wendell«, sagte Wednesday. »Nach dem Lunch wird man sie dann zum Friedhof bringen, zur Beisetzung.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe voraustelefoniert, während Sie auf dem Klo waren. Wissen Sie, wo das Bestattungsinstitut ist?«
Shadow nickte. Vor ihnen tanzten und wirbelten die Schneeflocken.
»Das ist unsere Ausfahrt«, sagte Shadow. Der Wagen stahl sich von der Interstate und an einer Ansammlung von Motels vorbei zur Nordseite von Eagle Point.
Drei Jahre waren vergangen. Ja. Es gab mehr Ampeln als früher, unvertraute Ladenfenster. Als sie am Fitnesscenter vorbeikamen, bat er Wednesday, langsamer zu fahren. AUF UNBESTIMMTE ZEIT GESCHLOSSEN, teilte das handbeschriebene Schild an der Tür mit, WEGEN TRAUERFALL.
Links ab auf die Main Street. An einem neuen Tätowierstudio und dem Rekrutierungscenter der Streitkräfte vorbei, dann der Burger King und, ganz unverändert und vertraut, Olsen’s Drug Store, schließlich die gelbe Steinfassade des Bestattungsinstituts. Ein Neonschild im Vorderfenster wies es als HAUS DER RUHE aus. Unbeschriftete Grabsteine standen jungfräulich im Schaufenster darunter.
Wednesday fuhr auf den Parkplatz.
»Möchten Sie, dass ich mit reinkomme?«, fragte er.
»Muss nicht sein.«
»Gut.« Das freudlose Grinsen war wieder da. »Dann kann ich mich ja um diverse Angelegenheiten kümmern, während Sie Abschied nehmen. Ich werde uns im Motel America unterbringen. Dort treffen wir uns, sobald Sie fertig sind.«
Shadow stieg aus und schaute dann Wednesday im Auto hinterher. Schließlich betrat er das Gebäude. Der schwach erleuchtete Flur roch nach Blumen und
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