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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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nehmen mochte.
    Es war eine schwere Feder, aber Shadow hatte auch ein schweres Herz, und die Waagschalen gerieten auf beunruhigende Weise ins Schaukeln.
    Doch letzten Endes hielten sie das Gleichgewicht, und die Kreatur im Schatten schlich unbefriedigt von dannen.
    »Soweit dazu«, sagte Bastet wehmütig. »Kommt wieder ein Schädel auf den Haufen. Schade. Ich hatte gehofft, du würdest gegen die derzeitigen Probleme etwas ausrichten können. Es ist, als würde man einem Autounfall in Zeitlupe zusehen und könnte nichts dagegen unternehmen.«
    »Du wirst nicht dabei sein?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich lass mir nicht gern vorschreiben, wann ich zu kämpfen habe.«
    In der gewaltigen Halle des Todes herrschte daraufhin Schweigen, und nur das Echo des Wassers und der Dunkelheit war noch zu hören.
    »Jetzt kann ich also wählen, wo ich als Nächstes hingehe?«, sagte Shadow.
    »Wähle«, sagte Thoth. »Du kannst aber auch uns für dich wählen lassen.«
    »Nein«, sagte Shadow. »Schon gut. Ich wähle selbst.«
    »Und?«, donnerte Anubis.
    »Ich möchte jetzt ausruhen«, sagte Shadow. »Das ist es, was ich will. Weiter nichts. Kein Himmel, keine Hölle, kein gar nichts. Lasst es nur einfach zu Ende gehen.«
    »Bist du dir sicher?«, fragte Thoth.
    »Ja«, sagte Shadow.
    Mr. Jacquel öffnete die letzte Tür für Shadow, und hinter dieser Tür war nichts. Keine Dunkelheit. Nicht einmal Vergessenheit. Nur das Nichts.
    Shadow nahm es an, vollständig und ohne Vorbehalt, und mit einer seltsamen grimmigen Freude schritt er durch die Tür ins Nichts.

17
    Auf diesem Kontinent sind alle Maßstäbe verschoben. Die Flüsse sind unermesslich, das Klima ist bei Hitze wie bei Kälte heftig, die Landschaft erhaben, Donner und Blitz sind gewaltig. Unregelmäßigkeiten, die in diesem Land auftreten, lassen jede Verfassung erzittern. Unsere Tölpeleien, unsere Fehler, unsere Verluste, unser Ruin, unsere Schande, sie gehen hier ins Maßlose.
      – Lord Carlisle an George Selwyn, 1778
     
     
    Der wichtigste Ort im Südosten der Vereinigten Staaten wird auf Hunderten von alternden Scheunendächern beworben, in ganz Georgia und Tennessee, ja bis hinauf nach Kentucky. Der Autofahrer, der auf einer gewundenen Straße durch den Wald fährt, kommt plötzlich an einer baufälligen roten Scheune vorbei, auf deren Dach er Folgendes gepinselt sieht:
     
    BESUCHEN SIE ROCK CITY
    DAS ACHTE WELTWUNDER
     
    und auf dem Dach eines verfallenen Melkschuppens gleich daneben, in weißer Blockschrift:
     
    VON ROCK CITY, DEM WELTWUNDER, AUS
    SEHEN SIE SIEBEN BUNDESSTAATEN
     
    Der Autofahrer muss annehmen, dass Rock City gleich hinter der nächsten Ecke liegt und nicht etwa eine ganze Tagestour entfernt auf dem Lookout Mountain in Georgia knapp hinter der Staatsgrenze südwestlich von Chattanooga, Tennessee.
    Bei Lookout Mountain handelt es sich mitnichten um einen außergewöhnlichen Berg. Eher um einen etwas groß geratenen, imposanten Hügel. Die Chickamauga, ein Zweig der Cherokee, lebten hier, als der weiße Mann kam; sie nannten den Berg Chattotonoogee, was man als der Berg, der sich bis zu einem bestimmten Punkt erhebt übersetzt hat.
    In den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts vertrieb Andrew Jacksons Indian Removal Act sie von ihrem Land – sämtliche Choctaw und Chickamauga und Cherokee und Chickasaw –, und US-Truppen zwangen jeden, dessen sie habhaft werden konnten, auf den Weg der Tränen, der mehr als tausend Meilen lang war und zu den neuen indianischen Gebieten hinführte, die eines Tages Oklahoma heißen sollten: ein Akt des beiläufigen Völkermords. Tausende Männer, Frauen, Kinder starben unterwegs. Wer gewonnen hat, hat gewonnen, daran gibt es nichts zu deuteln.
    Wer nämlich den Lookout Mountain unter seiner Gewalt hatte, der beherrschte das Land, so ging die Legende. Es war schließlich ein heiliger Ort, eine Gebetsstätte. Im amerikanischen Bürgerkrieg fand dort eine Schlacht statt: die Schlacht über den Wolken, die einen Tag lang tobte, und dann schafften die Unionstruppen das Unmögliche, überrannten ohne entsprechenden Befehl den Missionary Ridge und nahmen ihn ein. Der Norden gewann den Lookout Mountain, der Norden gewann auch den Krieg.
    Unter dem Lookout Mountain gibt es Höhlen und Gänge, wovon einige sehr alt sind. Inzwischen sind sie weit gehend unzugänglich, allerdings hat ein hiesiger Geschäftsmann vor einiger Zeit einen unterirdischen Wasserfall freigelegt, den er Ruby Falls nannte. Man kann die

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