American Gods
Touristenattraktion mit einem Fahrstuhl erreichen. Die größte Touristenattraktion von allen freilich findet sich oben auf dem Lookout Mountain. Und das ist Rock City.
Rock City beginnt als Ziergarten auf einem Berghang: Die Besucher wandeln auf einem Pfad, der sie über Felsen sowie durch und zwischen Felsen hindurchführt. Sie werfen Mais in ein Rotwildgehege, überqueren eine Hängebrücke und stecken einen Vierteldollar in ein Fernrohr, um an den seltenen Tagen, die sowohl sonnig als auch völlig klar sind, nicht weniger als sieben Bundesstaaten, so das Versprechen, überblicken zu können. Und von dort aus, wie ein Sturz in eine seltsame Hölle, nimmt der Pfad die Besucher, Abermillionen sind es alljährlich, hinunter in die Höhlen, wo sie auf schwarz angeleuchtete Puppen starren, die zu Dioramen nach Kinderreim- und Märchenmotiven arrangiert sind. Wenn alles abgeschritten ist, gehen sie verwirrt nach Hause, uneins, warum sie überhaupt gekommen sind, was sie eigentlich gesehen haben und ob es ihnen Spaß gemacht hat oder nicht.
Aus den ganzen Vereinigten Staaten kamen sie zum Lookout Mountain. Sie waren keine Touristen. Sie kamen mit dem Auto, mit dem Flugzeug, mit dem Bus, mit der Bahn und zu Fuß. Einige von ihnen flogen selber – sie flogen niedrig und nur im Dunkel der Nacht. Andere reisten auf ihren eigenen Wegen unterhalb der Erde. Viele fuhren per Anhalter und ließen sich von nervösen Autofahrern oder von Truckern mitnehmen. Wer selbst ein Auto oder einen Transporter besaß, sah diejenigen, die kein Glück beim Trampen hatten, unterwegs in den Diners oder Tankstellen oder am Rande der Straßen und bot ihnen, da er sie als das erkannte, was sie waren, eine Mitfahrgelegenheit an.
Staubbedeckt und müde, trafen sie am Fuß des Lookout Mountain ein. Wenn sie zu den Höhen des baumbestandenen Hanges hinaufblickten, sahen sie die Wege und Gärten und Wasserfälle von Rock City oder bildeten sich zumindest ein, sie zu sehen.
Die Ersten trafen am frühen Morgen ein. Eine zweite Welle kam in der Abenddämmerung. Und im Laufe der nächsten Tage wurden es immer mehr.
Ein ramponierter Umzugslaster fuhr heran und spuckte eine Reihe von reisemüden vile und rusalki aus, die Laufmaschen in den Strümpfen und verschmiertes Make-up auf den erschöpften Gesichtern hatten.
In einer Baumgruppe im unteren Teil des Hanges bot ein älterer Wampyr einem nackten affenähnlichen Geschöpf mit filzigem orangefarbenem Fell eine Marlboro an. Das Geschöpf nahm sie huldvoll entgegen, und dann rauchten sie schweigend Seite an Seite.
Einem Toyota Previa, der am Straßenrand hielt, entstiegen sieben chinesische Männer und Frauen. Sie sahen, von allem anderen abgesehen, sehr sauber aus und trugen dunkle Anzüge, wie sie in manchen Ländern Kennzeichen kleinerer Regierungsbeamter waren. Einer von ihnen hatte ein Klemmbrett in der Hand und prüfte die Bestandsliste, während die anderen große Golftaschen aus dem Heck des Wagens luden: Die Taschen enthielten prunkvolle Schwerter mit lackierten Griffen, geschnitzte Stöcke und Spiegel. Die Waffen wurden verteilt, abgehakt und quittiert.
Ein einstmals berühmter Komiker, vermeintlich in den Zwanzigerjahren verstorben, stieg aus seinem rostigen Auto und zog sich erst einmal aus: Die Beine waren die eines Ziegenbocks, ebenso sein kurzer knackiger Schwanz.
Vier Mexikaner mit schwarzer und ausgesprochen glänzender Haartracht trafen ein. Sie strahlten übers ganze Gesicht: Eine Flasche, die den Blicken durch eine braune Papiertüte entzogen war, ging zwischen ihnen herum; sie enthielt eine bittere Mischung aus pulverisierter Schokolade, Alkohol und Blut.
Ein kleiner Mann mit dunklem Bart – eine staubige schwarze Melone auf dem Kopf, Ringellocken an den Schläfen und einen zerfransten Gebetsschal um den Hals – kam quer über die Felder auf sie zu. Er ging zwei Schritte vor seinem Gefährten, der doppelt so groß war wie er und die reine graue Farbe von gutem polnischen Lehm aufwies; das auf seine Stirn gravierte Wort bedeutete Leben .
Das Eintrudeln nahm kein Ende. Ein Taxi fuhr heran, mehrere Rakshasas , die Dämonen des indischen Subkontinents, schwärmten daraus hervor, wobei sie wortlos die Leute am Fuß des Hügels angafften, bis sie Mama-ji fanden, die mit geschlossenen Augen gerade ein stummes Gebet sprach. Sie war hier die einzige vertraute Erscheinung für sie, und doch zögerten sie, eingedenk früherer Kämpfe mit ihr, sich ihr zu nähern. Mama-ji rieb mit den
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