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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Händen über das Halsband aus Schädeln. Ihre braune Haut ging langsam ins Schwarze über, ein gläsernes Schwarz wie Pechkohle, wie Obsidian: Sie kräuselte die Lippen und bleckte dabei ihre langen weißen Zähne, die äußerst scharf waren. Sie öffnete alle ihre Augen, winkte die Rakshasas zu sich heran und begrüßte sie, als würde sie ihre leiblichen Kinder begrüßen.
    Die Stürme der letzten Tage im Norden und Osten hatten nicht vermocht, das Gefühl von Druck und Unbehagen, das in der Luft lag, zu mildern. Die lokalen Wettervorhersagen sprachend inzwischen warnend von unbeweglichen Hochdruckgebieten und von Zellen, die Wirbelstürme hervorbringen könnten. Am Tag war es recht warm, nachts dagegen kalt.
    Man schloss sich zu informellen Gruppen zusammen, zuweilen nach Nationalität getrennt, nach Rasse, Temperament oder sogar nach Spezies. Es herrschte gespannte Erwartung. Und Müdigkeit.
    Einige unterhielten sich. Gelegentlich gab es Gelächter, aber wenn, dann gedämpft und sehr vereinzelt. Sechserpacks Bier wurden herumgereicht.
    Mehrere einheimische Männer und Frauen kamen, wobei sie ungewöhnliche Körperbewegungen an den Tag legten, über die Wiesen herbeigewandert. Wenn sie sprachen, waren ihre Stimmen die der Loa, die von ihnen Besitz ergriffen hatte: Ein großer schwarzer Mann sprach mit der Stimme von Papa ’Legba, der die Tore öffnete, während Baron Samedi, der Herr des Todes des voudon, sich des Körpers einer jungen Gothic-Rock-Anhängerin aus Chattanooga bediente, möglicherweise deshalb, weil sie im Besitz eines schwarzen Seidenzylinders war, der ihr recht keck auf dem dunklen Schopf saß. Sie sprach mit der tiefen Stimme des Barons, rauchte eine Zigarre von gewaltiger Größe und befehligte drei Gédé, die Loa der Toten. Die Gédé hatten sich der Körper dreier Brüder mittleren Alters bemächtigt. Sie trugen Schrotflinten und erzählten Witze von solch betäubender Unflätigkeit, dass nur sie selbst darüber lachen mochten, was sie freilich umso wüster und ungehemmter taten.
    Zwei alterslose Chickamauga-Frauen in ölbefleckten Bluejeans und ramponierten Lederjacken spazierten umher und besahen sich die Leute und die Vorbereitungen auf die Schlacht. Manchmal zeigten sie auf etwas und schüttelten dabei den Kopf. Sie hatten sichtlich nicht die Absicht, sich am bevorstehenden Konflikt zu beteiligen.
    Der Mond nahm weiter zu und erhob sich im Osten, einen Tag vor Vollmond. Im Aufsteigen schien er fast halb so groß wie der Himmel zu sein, ein tiefrotes Orange unmittelbar über den Hügeln. Während er übers Firmament zog, schrumpfte er jedoch und wurde blasser, bis er wie eine Laterne hoch oben hing.
    Es waren ihrer so viele, die dort im Mondschein am Fuß des Lookout Mountain warteten.
     
    Laura hatte Durst.
    Manchmal brannten in ihrem Innern lebendige Menschen wie Kerzen, und manchmal loderten sie wie Fackeln. Das machte es leicht, ihnen auszuweichen, aber auch leicht, sie gelegentlich aufzuspüren. Shadow hatte auf dem Baum mit einem ganz eigenen Licht so seltsam gebrannt.
    Sie hatte ihn einmal, als sie Hand in Hand spazieren gingen, gescholten, dass er nicht richtig lebendig sei. Sie hatte das in der Hoffnung getan, ihn damit zu einer spontanen Gefühlsäußerung zu provozieren. Ihn zu irgendetwas zu provozieren.
    Sie erinnerte sich, wie sie neben ihm ging und den dringenden Wunsch hegte, er möge begreifen, worum es ihr ging.
    Aber beim Sterben am Baum war Shadow höchst lebendig gewesen. Sie hatte ihn beobachtet, als das Leben aus ihm wich, und er war konzentriert gewesen, präsent und wirklich. Und er hatte sie gebeten, die ganze Nacht über bei ihm zu bleiben. Er hatte ihr vergeben … Vielleicht hatte er ihr vergeben. Es kam nicht drauf an. Er hatte sich verändert – das war alles, was sie wusste.
    Shadow hatte ihr gesagt, sie solle zu dem Farmhaus gehen, dort würde man ihr zu trinken geben. Es brannten keinerlei Lichter in dem Gebäude, und sie fühlte auch nicht, dass jemand zu Hause war. Aber er hatte gesagt, dass man sich um sie kümmern würde. Sie stieß gegen die Haustür, die sich sofort öffnete, wenn auch unter nachhaltigem Protest der rostigen Angeln.
    In ihrem linken Lungenflügel rührte sich etwas, etwas, das drängte und zappelte und sie zum Husten reizte.
    Sie stand in einem schmalen Flur, der nahezu vollständig von einem großen, staubigen Klavier versperrt war. Das Innere des Hauses roch nach Alter und Feuchtigkeit. Sie drückte sich am Klavier vorbei,

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