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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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sich wahrhaftig von einem Ohr zum anderen zog. Dann hob sie einen Finger, legte ihn seitlich an den Hals und führte ihn quer über die Kehle sanft zur anderen Seite.
    Das jedenfalls glaubte er alles im Bruchteil einer Sekunde in diesem leeren Zimmer zu sehen, das aber, wie er auf den zweiten Blick erkannte, nichts weiter enthielt als alte, vergammelte Möbel, von Fliegenschiss übersäte Bilder und trockene Fäulnis. Es war kein Mensch da drin.
    Er rieb sich die Augen.
    Town ging zurück zu seinem braunen Ford Explorer und stieg ein. Er warf den Stock auf das weiße Leder des Beifahrersitzes. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss. Die Uhr im Armaturenbrett zeigte jetzt auf einmal 5.57 Uhr an. Town runzelte die Stirn und überprüfte seine Armbanduhr, die blinkend kundtat, es sei 13.58 Uhr.
    Toll, dachte er. Ich war entweder acht Stunden lang auf diesem Baum oder minus eine Minute. Das war jedenfalls das, was er dachte, was er hingegen glaubte , war, dass beide Chronometer zufällig zur selben Zeit angefangen hatten, verrückt zu spielen.
    Zurück beim Baum war Shadows Leib dabei zu bluten. Die Wunde saß in der Seite. Das Blut, das aus ihr strömte, war zäh und dickflüssig und schwarz wie Molasse.
     
    Wolken bedeckten den Gipfel des Lookout Mountain.
    Easter saß in einigem Abstand zur Menge am Fuß des Berges und beobachtete die Morgendämmerung über den Hügeln im Osten. Sie hatte einen Kranz blaue Vergissmeinnicht um ihr linkes Handgelenk tätowiert, an dem sie geistesabwesend mit dem rechten Daumen rieb.
    Eine weitere Nacht war vergangen, und nichts war passiert. Die Leute strömten immer noch herbei, allein oder zu zweien. Die letzte Nacht hatte ihnen einige Geschöpfe aus dem Südwesten beschert, darunter zwei kleine Jungen, jeder von der Größe eines Apfelbaums, und etwas, das sie nur flüchtig gesehen, was aber wie ein körperloser Kopf vom Umfang eines VW-Käfers ausgesehen hatte. Die Geschöpfe waren zwischen den Bäumen am Fuß des Berges verschwunden.
    Niemand belästigte die hier Versammelten. Niemand aus der Außenwelt schien auch nur bemerkt zu haben, dass sie hier waren: Sie stellte sich vor, wie die Rock-City-Touristen oben an den Münzfernrohren standen und unmittelbar auf ein verkommenes Lager voller Dinge und Gestalten am Fuß des Berges glotzten, aber doch nichts sahen als Bäume, Büsche und Steine.
    Sie konnte den Rauch von Grillfeuer riechen, ein Duft von bratendem Speck im kalten Morgenwind. Am anderen Ende des Lagers begann jemand auf der Mundharmonika zu spielen, was sie unwillkürlich lächeln und erschauern ließ. Sie hatte ein Taschenbuch im Rucksack und wartete darauf, dass es hell genug zum Lesen sein würde.
    Unmittelbar unter den Wolken waren am Himmel zwei Punkte zu sehen: ein kleiner und ein großer. Der Wind wehte ihr einige Regentropfen ins Gesicht.
    Ein barfüßiges Mädchen kam vom Lager her in ihre Richtung. Neben einem Baum blieb es stehen, hob seine Röcke und hockte sich hin. Als es fertig war, winkte Easter es heran. Das Mädchen kam zu ihr.
    »Guten Morgen, Lady«, sagte es. »Die Schlacht wird bald beginnen.« Die Spitze seiner rosa Zunge berührte seine scharlachroten Lippen. Ein schwarzer Krähenflügel war dem Mädchen mit Leder an die Schulter gebunden worden, an einer Halskette baumelte ein Krähenfuß. Blaue Linien, Muster und verschlungene Knoten waren auf die Arme tätowiert.
    »Woher weißt du das?«
    Das Mädchen grinste. »Ich bin Macha, eine der Erscheinungen Morrigans. Ich kann den Krieg riechen, wenn er sich naht. Ich bin Kriegsgöttin, und ich sage, am heutigen Tag wird Blut fließen.«
    »Aha«, sagte Easter, »wenn das so ist …« Sie beobachtete den kleineren Punkt am Himmel, der jetzt wie ein Stein genau in ihre Richtung heruntergestürzt kam.
    »Wir werden sie bekämpfen, jeden einzelnen werden wir töten«, sagte das Mädchen. »Ihre Köpfe werden wir als Trophäen behalten, um die Augen und alles andere werden sich die Krähen kümmern.« Der Punkt war zu einem Vogel geworden, der mit ausgestreckten Flügeln auf den böigen Morgenwinden über ihnen schwebte.
    Easter legte den Kopf auf die Seite. »Ist das irgend so ein geheimes Kriegsgöttinnenwissen?«, fragte sie. »Die ganze Sache mit wer den Krieg gewinnen wird, wer wessen Kopf kriegt?«
    »Nein«, sagte das Mädchen. »Ich kann die Schlacht riechen, das ist alles. Aber wir werden siegen. Oder? Wir müssen einfach. Ich hab gesehen, was sie mit Allvater gemacht haben. Es heißt,

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