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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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erleuchtet, der heller als die Sonne war und sich, was völlig verrückt aussah, über den gesamten Himmel von einem Ende zum anderen gabelte wie ein weißer Riss im dunklen Himmelszelt.
    Das war ein Blitz, begriff Shadow. Eingefroren in einem Augenblick, der sich ins Ewige dehnte. Das Licht, das er warf, war grell und unbarmherzig: Es bleichte die Gesichter aus und ließ die Augen in dunklen Höhlen versinken.
    Dies war der Augenblick des Sturms.
    Die Paradigmen verschoben sich. Er konnte es spüren. Die alte Welt, eine Welt unendlicher Weite, grenzenloser Ressourcen und Zukunft, wurde von etwas anderem herausgefordert – einem Netzwerk aus Energie, Meinungen und Abgründen.
    Die Menschen glauben, dachte Shadow. So sind sie nun mal. Sie glauben. Aber dann wollen sie die Verantwortung für das, was sie glauben, nicht übernehmen; sie beschwören Dinge, aber trauen den Beschwörungen nicht. Die Menschen bevölkern die Dunkelheit mit Geistern, mit Göttern, mit Elektronen, mit Geschichten. Sie denken sich etwas aus, und sie glauben: Und es ist dieser Glaube, dieser felsenfeste Glaube, der die Welt bewegt.
    Der Berggipfel war eine Arena, das erkannte er sofort. Und auf beiden Seiten der Arena hatten sie Aufstellung genommen.
    Sie waren zu groß. Alles war viel zu groß an diesem Ort.
    Da waren die alten Götter: Götter, deren Haut braun wie ein alter Pilz war, rosa wie Hühnerfleisch, gelb wie Herbstlaub. Einige waren verrückt, andere normal. Shadow erkannte die alten Götter. Er war ihnen bereits begegnet, ihnen oder solchen, die ihnen glichen. Es waren Ifrits und Kobolde, Riesen und Zwerge. Er sah die Frau, die er aus dem verdunkelten Schlafzimmer in Rhode Island kannte, sah die grünen Schlangenspiralen ihrer Haare. Er sah Mama-ji, die auf dem Karussell gewesen war, sie hatte Blut an den Händen und ein Lächeln auf dem Gesicht. Er kannte sie alle.
    Die neuen erkannte er auch.
    Da war einer, der ein Eisenbahnbaron sein musste, in einem altertümlichen Anzug, mit einer Uhrkette, die sich quer über seine Weste zog. Er trat auf wie jemand, der schon bessere Tage gesehen hatte. Seine Stirn zuckte.
    Da waren die großen grauen Götter der Aeroplane, Erben all der Träume vom Schwerer-als-Luft-Reisen.
    Automobilgötter waren anwesend: ein mächtiges Kontingent mit ernsten Gesichtern, Blut an den schwarzen Handschuhen und den Chromzähnen: Empfänger von Menschenopfern in einer Größenordnung, wie sie seit den Azteken undenkbar schien. Selbst sie schienen sich unbehaglich zu fühlen. Welten verändern sich.
    Andere hatten verschmierte Phosphorgesichter; sie glühten sanft, als existierten sie nur in ihrem eigenen Licht.
    Shadow hatte mit ihnen allen Mitleid.
    Bei den neuen war eine gewisse Arroganz zu erkennen. Aber Shadow sah auch Furcht.
    Sie befürchteten, dass, sofern sie mit einer sich wandelnden Welt nicht Schritt hielten, sofern sie nicht die Welt nach ihrem Bilde umgestalteten und neu schufen, ihre Zeit bereits abgelaufen sein könnte.
    Jede Seite sah der anderen mit entschlossenem Mut ins Auge. Jede Seite sah in den Gegnern die Dämonen, die Monster, die Verdammten.
    Shadow bemerkte, dass es bereits zu ersten Gefechten gekommen war. Die Felsen trugen Blutspuren.
    Sie machten sich für die eigentliche Schlacht bereit: für den eigentlichen Krieg. Jetzt oder nie, dachte er. Wenn er jetzt nicht handelte, war es zu spät.
    In Amerika dauert alles ewig, sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Die Fünfziger dauerten tausend Jahre lang. Du hast alle Zeit der Welt.
    Shadow bewegte sich auf eine Weise, die halb Schreiten, halb gelenktes Stolpern war, in die Mitte der Arena.
    Er fühlte Augen auf sich gerichtet, Augen und Dinge, die nicht im strengen Sinne Augen waren. Er erschauderte.
    Das machst du sehr gut, sagte die Bisonstimme Verdammt richtig, dachte Shadow. Ich hin heute Morgen von den Toten zurückgekehrt. Danach sollte alles Weitere doch wohl ein Klacks sein.
    »Wisst ihr«, sagte Shadow mit möglichst ungezwungener Stimme in die Luft. »Das hier ist kein Krieg. Es sollte nie ein Krieg sein. Falls irgendjemand von euch glaubt, dass das ein Krieg ist, dann macht er sich etwas vor.« Von beiden Seiten vernahm er murrende Geräusche. Er hatte offenbar keinen Eindruck gemacht.
    »Wir kämpfen um unser Überleben«, sagte ein Minotaurus von einer Seite der Arena her.
    »Wir kämpfen um unsere Existenz«, rief von der anderen ein Mund in einer Säule glitzernden Rauchs.
    »Das hier ist kein geeignetes Land für

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