American Gods
verrückt …«
»Ja, ja. Spucken Sie’s schnell aus«, sagte Wednesday. »Ich bin hier gerade mit gewissen Tätigkeiten befasst.«
Shadow schielte ins Zimmer hinein. Er konnte erkennen, dass jemand im Bett lag, der ihn jetzt beobachtete. Ein Laken, das über kleine Brüste gezogen war. Hellblondes Haar, etwas Rattenhaftes im Gesicht. Er senkte die Stimme. »Ich habe gerade meine Frau gesehen«, sagte er. »Sie war bei mir im Zimmer.«
»Einen Geist, meinen Sie? Sie haben einen Geist gesehen?«
»Nein. Keinen Geist. Einen festen Körper. Sie war es. Sicher, sie ist tot, aber es war kein Geist. Ich habe sie berührt. Sie hat mich geküsst.«
»Verstehe.« Wednesday warf der Frau im Bett einen schnellen Blick zu. »Bin gleich wieder da, meine Liebe«, sagte er.
Sie gingen quer durch den Flur zu Shadows Zimmer. Wednesday schaltete die Lampen ein. Er sah sich den Zigarettenstummel im Aschenbecher an. Er kratzte sich die Brust. Die Brustwarzen waren dunkel, die Nippel eines alten Mannes, und die Behaarung war grau meliert. Eine weiße Narbe zog sich über eine Seite des Rumpfes. Er schnupperte ein paarmal, dann zuckte er die Achseln.
»Okay«, sagte er. »Ihre tote Frau ist also aufgetaucht. Angst gehabt?«
»Ein bisschen.«
»Sehr vernünftig. Von den Toten krieg ich immer das kalte Grausen. Sonst noch was?«
»Ich bin bereit, Eagle Point zu verlassen. Lauras Mutter kann sich um die Wohnung und all die anderen Sachen kümmern. Sie kann mich sowieso nicht leiden. Von mir aus können wir los, sobald Sie so weit sind.«
Wednesday lächelte. »Freut mich zu hören, mein Junge. Wir fahren gleich morgens los. Jetzt sehen Sie aber zu, dass Sie etwas Schlaf kriegen. Ich hab etwas Scotch bei mir im Zimmer, falls Sie eine Einschlafhilfe brauchen. Wie wär’s?«
»Nein. Ich komme schon zurecht.«
»Dann stören Sie mich bitte nicht weiter. Ich habe noch eine lange Nacht vor mir.«
»Gute Nacht«, sagte Shadow.
»Genau«, sagte Wednesday und schloss dann hinter sich die Tür.
Shadow setzte sich aufs Bett. Der Geruch von Zigaretten und Konservierungsmitteln hing noch in der Luft. Er hatte den Wunsch, um Laura zu trauern; das schien ihm angemessener zu sein, als sich von ihr aufscheuchen oder – wie er sich jetzt, wo sie weg war, eingestand – doch etwas Angst einjagen zu lassen. Es war an der Zeit zu trauern. Er schaltete die Lichter aus, legte sich aufs Bett und dachte an Laura, so wie sie gewesen war, bevor er ins Gefängnis ging. Er erinnerte sich an die erste Zeit ihrer Ehe, als sie noch jung waren und glücklich und närrisch und unfähig, die Hände voneinander zu lassen.
Es war lange her, dass Shadow zuletzt geweint hatte, so lange, dass er sich nicht erinnern konnte, wann es gewesen war. Nicht einmal beim Tod seiner Mutter hatte er Tränen vergossen.
Aber jetzt begann er zu weinen, wurde geradezu geschüttelt von schmerzvollem Schluchzen, und zum ersten Mal, seit er ein kleiner Junge war, weinte Shadow sich in den Schlaf.
ankunft in amerika
813 n. Ch.
Sie befuhren das grüne Meer und orientierten sich an den Sternen und an der Küste, und als die Küste nur noch Erinnerung und der Nachthimmel bedeckt und dunkel war, da überließen sie sich dem Glauben und riefen den Allvater an, dass er sie sicher wieder an Land steuern möge.
Eine schlimme Reise war ihnen da beschert worden, taube Finger und ein Zittern in den Knochen, das nicht einmal der Wein fortbrennen konnte. Des Morgens erwachten sie und mussten feststellen, dass der Raureif sich auf ihre Bärte gelegt hatte, und so schienen sie, bis die Sonne sie erwärmte, alten Männern mit vor der Zeit ergrauten Bärten zu gleichen.
Die Zähne hatten sich gelockert, und die Augen waren tief in ihren Höhlen versunken, als sie das grüne Land im Westen sichteten. Die Männer sprachen: »Fern sind wir hier von unseren heimischen Herden, fern von den Meeren, die wir kennen, und den Landen, die wir lieben. Hier am Rande der Welt werden wir von unseren Göttern verlassen sein.«
Ihr Führer aber kletterte auf einen großen Felsen und verspottete sie, weil sie kein Vertrauen hatten. »Der Allvater erschuf die Welt«, rief er. »Mit seinen Händen schuf er sie aus den zerschmetterten Knochen und dem Fleische des Ymir, seines Großvaters. Ymirs Gehirn warf er als Wolken in den Himmel, und aus seinem salzigen Blut wurde das Meer, das wir überquerten. Wenn er also die Welt schuf, begreift ihr nicht, dass er dann auch dieses Land geschaffen hat? Und
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