Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
habe. Aber was er so alles geschrieben hat, wir haben fast nie etwas von ihm gelesen.«
Zu Steinbecks Zeit gab es in der Main Street unter anderem ein paar Bars, ein Kino, das Paradise Restaurant, das Elektrogeschäft Really-Matic, Mr. Youngs Fahrradgeschäft plus Tankstelle, den Bohack-Lebensmittelmarkt, Bob Barrys Eisenwarengeschäft, eine Bank, den Geschenk- und Büroartikelladen The Ideal (seit 1863), Schiavoni’s Lebensmittelgeschäft und den Variety Store, mit Seife, Eis, Spielzeug, Schlüsseln und anderen Dingen, die anderswo nicht zu bekommen waren. Dies und anderes bildete die Kulisse für Geld bringt Geld .
Vieles von damals hat sich bis heute gehalten: The Ideal, die Bank, Schiavoni’s, der Eisenwarenladen, der Variety Store. Ansonsten hat sich der Charakter des grimmigen alten Industriestädtchens im vergangenen halben Jahrhundert gründlich gewandelt. Die Black Buoy Bar ist heute ein Hamburgerlokal, das Kino eine Galerie, aus Bäckereien und Lebensmittelläden sind Restaurants oder Geschäfte für Tauchausrüstung geworden; die Straßencafés sind voll, im Hafen sieht man vor weißen Segelyachten kaum noch Wasser, aber ihre Besitzer lassen sich selten blicken, für die Instandhaltung haben sie Mexikaner und Philippiner angeheuert. Wohnhäuser, in denen früher Fischer oder Vorarbeiter gelebt haben, werden in den Zeitungen als » Sag Harbor Traditional « oder » Sag Harbor Village Classic « angeboten, für 2 195 000 beziehungsweise 1 950 000 Dollar. Auf den Parkplätzen der Main Street steht kein Dodge oder GMC mehr, sondern hauptsächlich japanische und europäische Autos: BMW , Mercedes, Volvo, Toyota, Jaguar, ein verirrter Range Rover. Am Geldautomaten der Capital One Bank kann man zwischen vier Sprachen wählen: Englisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch. Robert Paynes rittlings auf der Welt sitzender Koloss existiert nicht mehr. All dies hätte Steinbeck wohl selbst in seinen hellsichtigsten Momenten kaum prophezeit.
Der Bericht über die Reise mit Pudel Charley beginnt mit einem Sturm. Seine Schilderung gerät zu einem wüsten Heldenepos im Miniaturformat. Steinbeck hatte ursprünglich kurz nach Labor Day aufbrechen wollen, das ist der erste Montag im September, das inoffizielle Ende der Sommersaison. Doch dann machte ihm der herannahende Hurrikan Donna einen Strich durch die Rechnung. Sag Harbor war in der Vergangenheit schon öfter von schweren Stürmen heimgesucht worden, und die ganze Stadt bereitete sich nach Kräften vor. In der Main Street wurden während des Wochenendes die Schaufenster mit Brettern vernagelt. Wie der Sag Harbor Express berichtete, hörte man nachts überall die Motoren von Booten, deren Besitzer einen geschützten Liegeplatz suchten, und schon früh am nächsten Morgen sah man die Leute damit beschäftigt, ihre Wasserfahrzeuge – oder die der Nachbarn – an Land zu ziehen oder fest zu vertäuen.
Am Montagmorgen um zehn Uhr, es war der 12. September, begann es heftig zu regnen. Der Wind wurde schnell stürmisch, ein Schaufenster von The Ideal ging zu Bruch. Das Telefon fiel aus. Um vier Uhr nachmittags wurden Windgeschwindigkeiten von weit über hundert Meilen pro Stunde gemessen. Die Zeitung: »Eine breite Wasserwand von etwa einem halben Meter Höhe ging über die Dünen bei Napeague und hat den Montauk Highway vollständig überflutet.« Bäume stürzten um.
Von einem Fenster seines Hauses beobachtet Steinbeck, wie der Sturm über die Bucht hereinbricht: »Er schlug zu wie eine Faust.« Die Krone einer Eiche kracht herunter. Die nächste Bö stößt ein großes Fenster auf, Steinbeck drückt es wieder zu und treibt oben und unten Keile ein. Boote reißen sich los und rutschen das Ufer hinauf oder stoßen zusammen. Dann sieht er, dass seine geliebte Motoryacht, die Fayre Eleyne , von zwei auf sie zutreibenden Booten in die Zange genommen und trotz »heftiger Gegenwehr« an einen Anlegesteg gedrückt wird; »wir hörten, wie ihr Rumpf an die Eichenpfosten rummste«.
Früher hatte Steinbeck einmal geschrieben, es sei schwach, ein Buch mit Stürmen und anderen extremen Wetterereignissen beginnen zu lassen, aber das kümmert ihn jetzt nicht mehr. Genüsslich schildert er, wie er trotz Elaines ängstlichem Protest aus dem Haus und gegen den Sturm zu dem schon über einen Meter unter Wasser stehenden Landesteg rennt, um sein Boot zu retten, das »schrie und winselte […] und zappelte wie ein verängstigtes Kalb«. Elaine, die im peitschenden Regen hinter ihm
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