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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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verstehen diese Stadt nicht mehr, sie fühlen sich als Verlierer, auch finanziell. Sie haben von den Veränderungen nicht profitiert. Die Mittelschicht wurde zum großen Teil verdrängt, dafür ist unglaublich viel Geld in die Stadt gekommen. Für die Alteingesessenen ist es schwer, ihren Neid auf die Leute zu unterdrücken, die man heute in der Main Street sieht.«
    Ist mit der Mittelschicht auch das alte Zusammengehörigkeitsgefühl verschwunden? »In Steinbecks Zeit war der Gemeinschaftssinn noch stark«, sagt Bryan. »Heute ist das nicht mehr so.« Für gute Zwecke werde allerdings noch viel gespendet, und als vor kurzem ein junger Soldat aus Sag Harbor im Irak ums Leben kam, sei die Aufregung groß gewesen. Doch die Einwohner identifizierten sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Ort. »Für die alten Familien, die immer hier gelebt haben, besteht die Gemeinschaft aus einer stabilen Gruppe von Freunden und Bekannten, Leuten, die man immer schon gekannt hat. Bei den Neubürgern ist das anders, sie haben häufig ein idealisiertes Bild von Sag Harbor, ihre Vorstellung von Gemeinschaft ist oft unrealistisch, nostalgisch.« Er versichert mir: So schön die Stadt auch sei, sie repräsentiere nicht das wirkliche Amerika. »Es gibt heute nur wenige Orte in diesem Land, die so weltfremd sind.«
    Doch jetzt muss er sich beeilen, noch einen Artikel über Steinbeck schreiben, die Zeitung geht bald in den Druck. Er springt auf. »Wer sich nicht verändert, ist tot. Life is a moving target .« Am nächsten Morgen lese ich in der druckfrischen Ausgabe, »über dem ›Fortschritt‹, den Steinbeck 1960 heraufdämmern sah«, gehe die Sonne unter. Von der Hypothekenkrise ist die Rede, von den zahlreichen Zwangsräumungen, von der Armutsquote, der höchsten »seit der Großen Depression«. »Dieses kleine Dörfchen an der Bucht«, heißt es dann aber auch, biete immer wieder »Ruhe und Trost«.
    Wir machen einen Spaziergang durch die Main Street und den Hügel hinauf, anderthalb Meilen durch schattige Alleen in Richtung Bluff Point, wo Steinbecks früheres Haus steht. Es ist still auf der Straße. Die eleganten hölzernen Veranden sind leer. Überall hängen Sternenbanner, man könnte meinen, es sei ein Feiertag. Solange Krieg ist, wird Flagge gezeigt, besonders in diesem reichen Teil Amerikas, in dem sich die Unterstützung für die jungen Männer und Frauen in Übersee vor allem in reichlich flatterndem Fahnentuch ausdrückt. Die Sonne wärmt noch, Eichhörnchen flitzen durchs Geäst der Bäume, die Gärten haben ausgeblüht. Hier und da klopfen Spechte. Eins der Häuser wird restauriert, die Männer auf den Gerüsten sind Mexikaner. Andere Mexikaner arbeiten in den Gärten, man hört nur spanische Laute. Etliche Villen stehen zum Verkauf.
    Ein junges Paar kommt uns entgegen, mitten auf der Straße. Der junge Mann hat einen offenen, freundlichen Blick, seine Freundin wirkt ein wenig griesgrämig. Er ist guten Mutes, das sieht man ihm an, er wird sie aufmuntern, wird sich die größte Mühe mit ihr geben, wird es zu seinem Lebenszweck machen, sie zum Lächeln zu bringen, und nie wird sie zufrieden sein.
    Steinbecks niedriges Haus steht grau und bescheiden unter hohen Bäumen. Es gehört heute Elaines Schwester, manchmal wird es vermietet. Ich schleiche mich in den Garten, im Haus ist niemand. Mitten im Rasen liegt der kleine Pool, den Steinbeck für Elaine bauen ließ, seine Finger-Inschrift im Zement ist noch sichtbar: » To his ›Ladye‹. In thee I have myn erthly joye «. Ein paar Grillen lärmen, in der Ferne rauscht die Schnellstraße. Es ist ein seltsam friedlicher Ort.
    Steinbecks alten sechseckigen Schreibpavillon in der Nähe des Ufers hat man ausgeräumt, weil die Papiere und Bücher unter der Feuchtigkeit litten. In einer Ecke des Grundstücks steht die farblose Garage, die Steinbeck als Hobbyraum diente. An den Wänden die kalifornischen Weinranken, die er aus Salinas mitgebracht hatte, die Bretter und Schubladen sind beschriftet: » Knives, Chisels and Bladey Things « (Messer, Meißel und Klingendinger); » Screws (Anybody)«; » Glory! Nails, In Excelsis «; » Exotics «.
    Die Garage habe ich übrigens nicht selbst besichtigen können, ich zitiere hier aus der New York Times . Nur deren Reporter durfte nämlich in dieser Woche das Haus besuchen. Offiziell aus Anlass des Jahrestages, in Wirklichkeit, weil hinter den Kulissen schon seit Jahren ein Kampf um Steinbecks Nachlass tobt. Der heutigen Besitzerin

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