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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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verfallenen, kleinen braunen Windmühle, die noch mit tatkräftiger Hilfe Steinbecks für das Old Whalers’ Festival errichtet worden war.
    Die meisten Häuser sind aus Holz und weiß oder blau gestrichen. Die wenigen Autos fahren im Schritttempo, für jeden, der die Straße überqueren will, hält man sofort an. Am Hafen liegt das kleine, aber feine Büro der Wochenzeitung Sag Harbor Express (Est. 1859), »Combined with THE CORRECTOR (1822) and THE NEWS (1909)« . Das noble American Hotel dient von acht Uhr morgens bis tief in die Nacht als Wohnzimmer der Stadt. In den Gärten duften Kiefern und Lärchen, Grillengezirp erfüllt die Luft.
    Sag Harbor sah in den fünfziger Jahren fast noch so aus, wie man sich eine Kleinstadt des 19. Jahrhunderts vorstellt, ein Nest, in dem manchmal Hunde mitten auf der Straße schliefen. In der Mittagspause, angekündigt von den Dampfpfeifen der Fabriken, paradierte man auf der Main Street. Ansonsten war es meistens still, nur hin und wieder hörte man das Kehrgeräusch eines Besens oder den knallenden Auspuff eines der wenigen Autos. Noch immer hatte sich die Stadt nicht ganz von der Depression der dreißiger Jahre erholt. Sogar an der Main Street waren einige Gebäude mit Brettern vernagelt. Viele Einwohner waren auf die Suppenküche angewiesen. »Früher gingen die Leute angeln«, wurde mir erzählt. »Sie haben Hirsche im Hügelland geschossen, im Notfall konnte man noch einigermaßen von dem leben, was das Land zu bieten hatte, bis in die sechziger Jahre war es ganz normal, dass man jagen und angeln ging, wenn man keine Arbeit hatte.«
    Touristen gab es damals kaum. Normalerweise war jeder, dem man auf der Straße begegnete, ein Bekannter oder zumindest ein Bekannter von Bekannten. Besuch von außerhalb wurde unerbittlich in der Gesellschaftsrubrik von Mrs. Rose Heatley im Sag Harbor Express angezeigt: »Mr. und Mrs. Joe Velsor haben Mrs. Velsors Onkel, Mr. L.W. Teltro aus Atlanta, am Mittwochabend zum Dinner empfangen.«
    Genau diese Ruhe suchte Steinbeck. Auch nach fünfzig Jahren ist es nicht schwierig, noch ein paar seiner alten Kumpel aufzuspüren. »John wollte einfach in Frieden gelassen werden, aber es gab hier vier, fünf Jungs, mit denen er täglich etwas unternommen hat«, erzählt der achtundachtzigjährige John Ward. »Wenn es was zu feiern gab, gingen wir hin, ich habe ihm immer bei Arbeiten an seinem Boot geholfen, aber geredet haben wir nicht viel. Wir haben geangelt.«
    Mit Dave Lee, dem Uhrmacher – auch er inzwischen ein alter Mann –, lag Steinbeck im Dauerclinch. »John war Sozialist mit Leib und Seele, während mich in den vierziger Jahren gerade der verdammte Sozialismus aus England fortgetrieben hat. Er war im Grunde davon überzeugt, dass jeder Mensch durch Geburt ein Recht auf alles hat, auch wenn wir Konservativen dafür zahlen müssen. Er hat die Welt immer aus der Perspektive der Arbeiter gesehen. Zum Beispiel war er begeistert davon, wie sich in England die Lebensmittelzuteilung auf die Ernährungslage ausgewirkt hat, wirklich sehr positiv nämlich. Wenn er von Arbeitern sprach und von der Verbesserung ihrer Lebensumstände, dann hatte er so ein seliges Funkeln im Blick.« Nein, ernsthaft gestritten hätten sie sich nie.
    »John und Bob haben die verrücktesten Sachen angestellt, nachts nackt durchs Schwimmbad, Sie wissen schon«, sagt Nada Barry. »Die Polizei kannte uns alle, aber Probleme gab es nie. Das war hier buchstäblich ein old-boys-network . John war auch eine treibende Kraft hinter dem Sag Harbor Old Whalers’ Festival, damit wollten wir etwas mehr Leben in dieses Nest bringen.« Ihre Tochter Gwen ergänzt: »Elaine war ganz anders als er, eine echte Theaterfrau, sie liebte die Show. Wenn sie zu irgendetwas keine Lust hatte, sagte sie immer: › Sorry, dear , ich fühle mich gar nicht gut, wahrscheinlich eine verdorbene Auster.‹ Die Ausrede hat sie auch meiner Mutter mal empfohlen. › A bad oyster . Funktioniert immer.‹« Nur habe Elaine Steinbeck leider eines vergessen: Dieselbe Entschuldigung habe sie auch gebraucht, als sie nicht zu Gwens Hochzeit erschien. » A bad oyster …« Darüber ärgern sich die beiden Damen bis heute.
    John Ward: »Er war Schriftsteller, er hatte so eine kleine Hütte im Garten, da drin hat er geschrieben. Dann durfte man ihn nicht stören. Wenn mal ein Tourist fragte, wo Steinbeck wohnte, haben wir uns dumm gestellt.« Dave Lee: »John war einer der besten Menschen, die ich in meinem Leben gekannt

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