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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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geht, zu großen Gesten, großen Plänen und großen Erwartungen. Auch Steinbecks zweite Frau Gwyn, die Mutter der Jungen, beanspruchte individuelle Freiheit für sich; bei ihr bedeutete dies vor allem Feiern und Trinken. All diese Probleme sollte die Eaglebrook School kompensieren.
    Aus John juniors Erinnerungen spricht ein tiefes Gefühl der Gekränktheit. Das ist verständlich, sagt aber auch etwas über seine Generation aus. Solange die Babyboomer noch Kinder und Jugendliche waren, ahnten sie nicht im Geringsten, unter welch außergewöhnlich günstigen Bedingungen sie aufwuchsen, jedenfalls im Vergleich zu den Generationen vor ihnen. Was die Gegenwart an angenehmen Dingen zu bieten hatte, erschien ihnen als ganz natürlich und selbstverständlich, wie das bei Kindern so ist. Der Historiker Henry William Brands meint, sie seien in dem Gefühl aufgewachsen, dass sie auf alles ein Anrecht hätten und dass die Welt zu ihrem Vergnügen da sei. Jedenfalls war dieses Gefühl, das ja bis zu einem gewissen Grad ohnehin zur amerikanischen Selbstwahrnehmung gehört, bei ihnen stärker ausgeprägt als bei allen Amerikanern vor ihnen.
    3
    Mein Freund, der bedeutende Historiker des Mittleren Westens Joseph Amato, hat einmal eine amerikanische Lokalgeschichte auf der Grundlage von Geräuschen geschrieben. Er begann mit den Lauten der Natur, mit dem Rauschen der Flüsse oder des Windes in den Wäldern und im trockenen Gras der Ebene – auch wenn kein Wind weht, kann man den Wind hören, sagen die Indianer –, mit dem Summen der Insekten über den Tümpeln, dem Heulen der Wölfe, dem Stampfen der Bisons, dem Quaken der Frösche, dem Schnattern von Gänsen und Enten, den Rufen und Gesängen Hunderter Vögel, dem Donnern eines Wasserfalls, dem Krachen eines herabfallenden Astes, den Lauten einer menschlichen Stimme.
    Alexis de Tocqueville, der im Sommer 1831 durch einen der urwüchsigen amerikanischen Wälder zog, berichtet davon, dass in der heißesten Stunde des Tages ein Laut »wie von einem langen Seufzer« zu hören gewesen sei, »ein kläglicher Ruf, der in der Ferne hängen blieb«. Es ist ein letzter Windhauch. »Dann senkt sich auf alles ringsum eine Stille, so tief, so vollständig, dass so etwas wie religiöse Furcht die Seele befällt …«
    Mit den ersten europäischen Pionieren waren neue Geräusche ins Land gekommen. Das dumpfe Knallen von Schüssen. Das Trappeln von Pferdehufen. Die Rufe der geschäftigen Waschbären und das Gurren von Tauben, die von den Farmen angelockt wurden. Das Blöken von Schafen, Gackern von Hühnern, Muhen von Kühen. Das Tschilpen der Haussperlinge und das anhaltende Gezwitscher der Stare – beide waren aus Europa eingeführt worden. Neu waren auch die Laute der Einwanderer selbst, die fremden Namen und Wörter, die andere Musik; innerhalb weniger Jahrzehnte entstand eine vollkommen neue Lautwelt.
    Auf den Farmen hörte man das Knarren von Türen, das Fegen von Besen, das Rattern von Fuhrwerken und das Quietschen ihrer Radnaben, das Ritzeratze von Sägen, das Klopfen von Hämmern, das Winseln einer Wasserpumpe, das Scheppern von Eimern und Kannen. Später schließlich die Geräusche der ersten mit Wasser-, Wind- oder Pferdekraft betriebenen Maschinen. In dieser Geräuschkulisse aus Hunderten verschiedener Laute spielte die Stille eine besondere Rolle. Stille war Ausdruck von Respekt, ob in der Kirche, vor Gericht oder auf dem Friedhof.
    Die ersten Städte. Mehr menschliche Stimmen, mehr Sägen und Hämmern. Dichter Verkehr von Reitern und Fuhrwerken. Frauen beim Teppichklopfen. Hier und da ein Musikinstrument. Ansprachen, Kirchenglocken: Amerika erhebt sich gegen die britische Herrschaft. Kindergesang hinter den offenen Fenstern einer Schule. Eine Musikkapelle marschiert durch die Straßen, sie verkörpert den Stolz des entstehenden Gemeinwesens. Am Abend das Krakeelen junger Männer, die Polizeiberichte sprechen von Trunkenheit, Lärm und ungebührlichem Verhalten. Im Umland das scharfe Knallen von immer mehr Gewehren.
    Dann, wie ein Fanfarenstoß, das Pfeifen der ersten Lokomotive. Die Geräusche werden lauter und schriller, man hört keuchende und zischende Dampfmaschinen, kreischende Bremsen, Eisen reibt sich an Eisen. Türen knallen. In seinem Essay Sounds beschreibt Henry David Thoreau (1817 – 1862), wie die Lautlandschaft seiner Heimat in Massachusetts – Eulen, Hunde, Frösche, Fuhrwerke – von der Eisenbahn verändert wurde: »Das Pfeifen der Lokomotiven durchdringt zu

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