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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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allen Jahreszeiten meine Wälder wie der Schrei eines Habichts über einer Farm, sie kündigt das Eintreffen vieler rastloser Kaufleute aus der weiten Welt in unserer Stadt an …«
    Thoreau fragte sich, ob die Eisenbahn die Menschen dazu brachte, schneller zu handeln und zu denken. Auf jeden Fall war ihm bewusst, dass mit ihr eine neue Lebensweise Einzug hielt – und dass es keinen Weg zurück gab. Statt nach dem Sonnenstand richtete man sich bei der Einteilung des Tages nach dem Pfeifen der Lokomotive, ihrem Rhythmus passte sich der des Lebens an. Die Eisenbahn, meint Amato, brachte die Stadt aufs Land, mehr noch, sie war die Stadt auf dem Land. Sie war der Herold, der all die neuen Geräusche ankündigte, die Amerika bald überschwemmen sollten: das Fauchen der Hochöfen, das Stampfen und Rattern der Druckmaschinen, das Rasseln der Fließbänder. »Der Zug führte die Parade der Fahrzeuge an, die bald durch das moderne Leben raste […] Der Zug markierte den Anfang der akustischen Tyrannei der Maschine über die Landschaft.«
    So ungefähr muss es auch in Deerfield, Massachusetts, gewesen sein. Die Häuser der Kleinstadt sind von den Gebäuden und Sportplätzen mindestens vier weiterer Internate eingekreist worden, immer noch ist Deerfield ein Aufbewahrungsort für Kinder reicher Eltern, aber das ist nicht seine einzige Besonderheit. Es ist auch zu einem Freilichtmuseum geworden, einem der wichtigsten der Region. Es hat die Stille zurückerobert. Die Eisenbahnstrecke hinter dem Ort macht einen vernachlässigten Eindruck, der Rost regiert.
    Im 17. Jahrhundert lag Deerfield am Rand der bekannten Welt, dort, wo die Karten immer mehr weiße Flecken hatten und schließlich gar nichts mehr über das Land verrieten. Es war um 1670 gegründet worden, ein halbes Jahrhundert, nachdem die frommen englischen »Pilgerväter« auf der Mayflower bei Plymouth, Massachusetts, an Land gegangen waren, und fast ein halbes Jahrhundert nach den ersten Schritten einiger weniger niederländischer Kolonisten auf Manhattan im Jahr 1624. Weiter südlich, an der Küste Virginias, hatten Briten schon 1607 begonnen Kolonien zu gründen, wie französische Siedler im Norden, an der Ostküste des späteren Kanada.
    Deerfield hat sich während des letzten Jahrhunderts scheinbar wenig verändert. Auf der von mächtigen Bäumen gesäumten Hauptstraße ist es still. Sonnenlicht fällt in schmalen Bahnen durch das Laub, gelbe und orangefarbene Blätter wirbeln zu Boden, Eichhörnchen flitzen über Stämme und Äste, sie bereiten sich auf den Winter vor und zeigen nicht die geringste Scheu. Der Verlauf der Straßen und Wege und die Einteilung der Wiesen und Weiden scheinen noch genauso zu sein wie in den Jahrzehnten nach der Gründung. Die beiden Platanen vor dem Rathaus sind mindestens dreihundert Jahre alt. Die meisten Häuser stammen aus dem 18. Jahrhundert, einige sind etwas jünger, aber es ist vor allem die tiefe, friedvolle Ruhe, die den Ort so einzigartig macht.
    All dies verdankt sich einem wohlhabenden Ehepaar, das im Lauf des 20. Jahrhunderts zahlreiche Häuser erworben und restauriert hat. Ursprünglich wohnten hier vor allem Farmerfamilien, ansonsten Weber, Schuster, Küfer, ein Schulmeister, ein Pfarrer. Wie in bäuerlichen Gemeinschaften überall auf der Welt trieb fast jeder nebenher ein wenig Handel. Von Generation zu Generation nahm der Wohlstand zu. Das kann man noch heute an zahllosen Details erkennen. Die frühesten, noch recht primitiven Gebäude hatten einen einzigen Raum, in dem sich das Leben abspielte; in späteren Häusern gab es drei oder mehr getrennte Räume, eine Küche, einen Wohn- und Essraum, Schlafzimmer, in der Zeit ab 1700 häufig sogar eine Art gute Stube als Empfangszimmer. Später wurden immer mehr Verbesserungen und Verschönerungen vorgenommen, Wände vertäfelt, Öfen oder Kamine eingebaut, Luxusmöbel wie etwa Vitrinenschränke angeschafft, in denen man die Beweise des neuen Wohlstands zur Schau stellte.
    Schon im 17. Jahrhundert besaßen die Einwohner der Pioniersiedlung Deerfield kostbare französische Spiegel und Handschuhe; man sieht wunderschöne englische Fayence aus dem 18. Jahrhundert, in einem der Häuser entdecke ich sogar eine Schüssel und sechs Teller aus den Niederlanden, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert und mit politischen Parolen bemalt; Vivat Oranje steht in ungeschlachten Lettern auf einem der Stücke. Deerfield unterhielt also intensive Handelsbeziehungen mit Europa, obwohl es zumindest

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