Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
Vom Netzwerk:
in der Anfangszeit ein ferner Außenposten war. Seit dem späten 17. Jahrhundert gab es übrigens in der Neuen Welt mehr als genug hervorragende Handwerker, die den Bedarf an Luxusgütern befriedigen konnten: Die Qualität der in Amerika hergestellten Möbel lässt nichts zu wünschen übrig, und in den Vitrinen steht feinstes amerikanisches Silbergeschirr aus dem 18. Jahrhundert.
    Der amerikanische Historiker Daniel Boorstin hat über diese Epoche einmal gesagt, Europa habe zu viel Geschichte und zu wenig Geographie gehabt, Amerika dagegen eher wenig Geschichte, aber einen Überfluss an Geographie. Deshalb hatten die europäischen Pioniere hier die einmalige Gelegenheit, sich neu zu erfinden. Als Europäer das gewaltige Gebiet des nordamerikanischen Kontinents nördlich von Mexiko entdeckten, war es – vermutlich – von nicht mehr als fünf bis zehn Millionen Menschen bewohnt, während in manchen Regionen Europas mit seinen damals etwa hundert Millionen Einwohnern schon Übervölkerung, große Armut und Hunger herrschten.
    Den ersten Siedlern verschlug der Überfluss des Landes oft die Sprache. Endlose Wälder, grüne Täler, voll mit Eichen, Walnussbäumen und wildem Wein, an der Küste riesige Muschelbänke, in Seen und Flüssen ein ungeheurer Reichtum an Fischen, so groß, dass man sie im ersten Moment für Baumstämme hielt, wie ein Pionier berichtet, und überall so viel Wild, dass man sich buchstäblich im Paradies wähnte.
    Nicht zuletzt dieser Überfluss sollte die amerikanische Mentalität prägen. People of Plenty hat der Historiker David Potter die Amerikaner genannt, ein Volk im Überfluss. Doch den Amerikanern ist es nicht so ergangen wie vielen anderen Völkern, deren Geschichte dem klassischen zyklischen Muster folgte: Zunehmender Reichtum führt schließlich zu einem Nachlassen der Anstrengung, zu Trägheit, Dekadenz und Untergang. Dass immer wieder neue Reichtümer erschlossen werden konnten und der Zustrom an Immigranten nicht abriss, bewirkte eher das Gegenteil; es entstand eine Mentalität, zu deren auffälligsten Merkmalen Tatkraft und Anpassungsfähigkeit gehören, auch Rastlosigkeit, denn hinter jedem Horizont konnte das Gras noch saftiger sein.
    Individualismus war die Norm; in der Neuen Welt musste jeder seinen eigenen Platz finden, abstecken und kultivieren. Dass man nach Verbesserung und Fortschritt strebte und bereit war, dafür Risiken einzugehen, war selbstverständlich, weil Unternehmungsgeist in einem Land mit solchem Überfluss sehr oft reich belohnt wird. Ausbildung und Lernen empfand man von Anfang an als besonders wichtig, sie waren die Voraussetzung dafür, dass die nächste Generation es noch weiter bringen konnte.
    Dabei war das Pionierdasein in den Feldern und Wäldern rund um Ansiedlungen wie Deerfield nicht leicht. Im Vergleich zu den weiter südlich gelegenen Küstenregionen hatte Neuengland ein recht kühles Klima, hier musste man für weniger Ertrag härter arbeiten, Sklaven und Dienstpersonal gab es kaum. Aber das hügelige Land war fruchtbar, und jeder konnte seinen eigenen Boden urbar machen und seinen Besitz erweitern. Innerhalb von ein bis zwei Generationen konnten es Familien im Amerika jener Tage schon zu einigem Wohlstand bringen.
    Weniger als zwei Jahrzehnte nach den mühevollen Anfängen der »Pilgerväter« ging es ihren Nachfolgern in Cambridge bei Boston schon so gut, dass dort das erste college als Ausbildungsstätte für zunächst dreißig Theologiestudenten errichtet werden konnte, auch dank des 1638 verstorbenen Theologen John Harvard, der dem College seine Bibliothek und die Hälfte seines Vermögens hinterließ. Wie aus erhaltenen Aufstellungen hervorgeht, verzehrten die Kolonisten des 17. Jahrhunderts in dieser Region viel mehr Fleisch als die Europäer, sie waren gesünder, und Hungersnöte oder Epidemien, im damaligen Europa recht häufig, waren hier äußerst selten. Schon zu jener Zeit also hatten diese Siedler einen höheren Lebensstandard als die Bevölkerung in jedem europäischen Land. Und das sprach sich herum: Als Deerfield gegründet wurde, lebten in den britischen Kolonien auf dem Gebiet der späteren Vereinigten Staaten etwa hunderttausend Siedler; gut ein Jahrhundert später, um 1775, waren es etwa zweieinhalb Millionen.
    Die Häuser von Deerfield erzählen die klassische amerikanische Erfolgsgeschichte. Und sie erfüllt die heutigen Besucher – zu 80 Prozent grauhaarig, zu 100 Prozent weiß – mit tiefer Zufriedenheit, das merkt man

Weitere Kostenlose Bücher