Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Mythos lebten die Ureinwohner nicht allein von der Jagd. Ihre Acker- und Gartenbaumethoden waren aus damaliger europäischer Sicht merkwürdig, aber außerordentlich produktiv: Man praktizierte eine Mischkultur mit unterschiedlichen Pflanzen, die von dieser Kombination profitierten. Viele Äcker bestanden aus kleinen Hügeln, bepflanzt mit Mais in der Mitte, Kürbissen am Rand und Bohnen, die sich an den Seiten hinabrankten. Der weitaus größte Teil der Nahrung stammte aus dieser Art von Ackerbau.
Die Umgebung von Deerfield wurde im 17. Jahrhundert von den Pocumtuc bewohnt und kultiviert. Um das Land in ihren Besitz zu bringen, setzten die britischen Kolonisten einen Vertrag auf, den einer der Ureinwohner, ein gewisser Chaulk, brav unterschrieb; er war dazu in keiner Weise befugt, und wahrscheinlich wusste er nicht einmal, was er da tat: Die Indianer kannten weder das Phänomen Vertrag noch das Phänomen Privatbesitz. Ihre halbsesshafte Lebensweise brachte es mit sich, dass man die meisten Dinge mit Verwandten und Stammesangehörigen teilte. Der Einzelne besaß nur etwas Kleidung und einige Gerätschaften; Diebstahl kannte man ebenso wenig wie den Privatbesitz von Land oder Vieh. Allein schon dies führte zu vielen Missverständnissen zwischen Ureinwohnern und Europäern und regelmäßig zu Konflikten und sogar kriegerischen Auseinandersetzungen.
Charakteristisch für diese Verwirrung ist der berühmte »Kauf« der Insel Manhattan durch die Niederländer im Jahr 1626. In einem Brief an die Generalstaaten erwähnt ein Repräsentant der Westindischen Companie namens Pieter Schagen fast beiläufig, das 11 000 Morgen große eylant Manhattes sei den »Wilden« für 60 Gulden abgekauft worden. Nach europäischen Vorstellungen war die Insel durch diesen »Kauf« niederländisches Eigentum geworden, auf das die Indianer keinen Anspruch mehr besaßen.
Die Lenape oder Delaware – besagte »Wilde« – sahen das völlig anders. In ihren Augen waren die gelieferten Waren im Wert von 60 Gulden kein Kaufpreis, sondern nur ein Geschenk zur Bekräftigung eines Bündnisses, das die Europäer zur Nutzung Manhattans berechtigte. Zu diesem Bündnis gehörte auch das Versprechen gegenseitigen Beistands im Fall eines Angriffs. Sie dachten nicht daran, die Insel zu verlassen, und wie erhaltene Dokumente bezeugen, haben sie das Land noch jahrelang genutzt.
Die Indianer sahen in den Kolonisten »nicht Eindringlinge und Eroberer, sondern einen neuen Stamm, der über einen Platz im diplomatischen Netzwerk von Native North America verhandelte«, meint der Historiker Allen Greer. Und sie glaubten, in der stärkeren Position zu sein, auch deshalb, weil sie sich selbst als viel geschickter und klüger empfanden. Zum Beispiel waren die Krieger der Abenaki und Kahnawake-Irokesen, die in der Gegend von Deerfield auf der Seite der Franzosen gegen die Briten kämpften, entsetzt über die Kampfweise ihrer Verbündeten. Sie selbst waren es gewohnt, den gut bewaffneten Feind aus dem Hinterhalt anzugreifen und zu verfolgen, doch die französischen Infanteristen marschierten ohne Deckung in Reih und Glied in das Feuer der Briten. In den Augen der Indianer war es zwar unglaublich mutig, aber auch selbstmörderische Dummheit, sich auf diese Weise geradezu abschlachten zu lassen.
Die Ureinwohner waren zudem keineswegs immer die »Wilden«, für die man sie hielt. William Bradford, der erste Gouverneur der »Pilgerväter«-Kolonie, erwähnt in seinem Augenzeugenbericht Of Plymouth Plantation beiläufig, dass die Kolonisten sich mit ihren indianischen Helfern von Anfang an auf Englisch verständigen konnten – wie man es aus billigen Hollywoodfilmen kennt. Die komplizierten Algonkin-Sprachen brauchten die Siedler nie zu erlernen. Samoset hatte von englischen Fischern, die es schon öfter an die Küste weiter nördlich verschlagen hatte, ein wenig Englisch gelernt. Tisquantum, auch Squanto genannt, sprach das Englische sogar fließend; er war vermutlich zweimal in England gewesen, das erste Mal, als ihn 1605 ein englischer Kapitän mitgenommen hatte, und ein weiteres Mal, nachdem er als Sklave nach Spanien verschleppt worden war; damals konnte er über England in die Heimat zurückkehren. So jungfräulich und unentdeckt wie oft behauptet war die Region Anfang des 17. Jahrhunderts also sicher nicht.
Doch die niederländischen Kolonisten auf Manhattan stolperten blind von einem Konflikt in den nächsten. Mag die Gründung Nieuw Amsterdams und der Kolonie
Weitere Kostenlose Bücher