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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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– allein schon der Handel mit Biberfellen brachte ungeheure Gewinne. Und auch die populäre Vorstellung von der Solidität und Sparsamkeit der amerikanischen Siedler entspricht nur halb der Wahrheit; in Wirklichkeit wurden die Kolonien auf Schulden gebaut, fast keine Unternehmung konnte ohne Darlehen finanziert werden. Und natürlich führten viele jener frühen Pioniere, das zeigen unzählige Gerichtsakten, ein alles andere als maßvolles Leben. Außerdem war der Anteil der Puritaner – im weitesten Sinne – an der Gesamtzahl der Kolonisten nicht sehr hoch. Und doch ist ihr Einfluss auf das amerikanische Selbstbild bis heute kaum zu überschätzen.
    Ein manchmal ans Groteske grenzender Gegensatz zwischen Moral und Lebenspraxis blieb charakteristisch für die amerikanische Gesellschaft. Wie die Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert verglich sich das koloniale Nordamerika mit dem biblischen Israel; die Amerikaner sahen sich als auserwähltes Volk, das nach vielen Entbehrungen endlich das Gelobte Land erreicht hatte. In manchen Regionen findet man fast nur Orte mit biblischen Namen; auf unserer Straßenkarte kommt allein Zion fünfmal vor, Bethel acht-, Bethlehem siebenmal.
    God’s New Israel war durch und durch protestantisch, eine Freistatt für all jene, die vor der katholischen Abgötterei geflohen waren. Der Antikatholizismus, auf den die irischen Einwanderer stießen, war tief verwurzelt. Auch sonst war das Zusammenleben so vieler verschiedener Konfessionen und Glaubensgemeinschaften nicht immer einfach – ein anglikanischer Pfarrer schrieb im 17. Jahrhundert, er habe es mit einem »seelenzerstörenden Mahlstrom von Glaubensabfall« zu tun. Manchmal befehdete man sich mit harten Worten, aber zu Gewalttätigkeiten gegenüber Andersgläubigen oder Verfolgungen kam es in Nordamerika selten. Thanksgiving Day , das Dankesfest der frommen protestantischen »Pilgerväter« nach ihrer ersten Ernte im Jahr 1621, wurde im Lauf der Zeit zum Fest aller Amerikaner. Sogar meine alte atheistische Freundin Edith feierte es brav mit ihren überwiegend jüdischen Verwandten.
    Alexis de Tocqueville schrieb: »Die Gründer Neuenglands waren glühende Sektierer und übereifrige Neuerer in einem. In den engsten Fesseln gewisser religiöser Glaubenslehren befangen, waren sie zugleich von allen politischen Vorurteilen frei.« Während in anderen Teilen der Welt – vor allem in Europa – Religion und Freiheit ständig miteinander in Konflikt gerieten, gelang es den Amerikanern, beides auf einzigartige Weise miteinander zu kombinieren. Das verlieh der Neuen Welt eine nie dagewesene Dynamik.
    Gleich und gleich gesellt sich gern, diese alte Gesetzmäßigkeit gilt zumindest, wenn es um Auswanderung geht. Menschen, die in der Heimat bleiben, sind häufig anders veranlagt als jene, die den Sprung ins Unbekannte wagen. Unter heutigen Auswanderern aus nichtwestlichen Staaten gibt es deutliche Unterschiede zwischen denen, die Europa vorziehen – und damit mehr Sicherheiten bei vielleicht weniger Möglichkeiten –, und der Gruppe derer, die sich für die Vereinigten Staaten entscheiden – und damit für vermeintlich mehr Möglichkeiten bei weniger Sicherheiten. Ähnliche Mechanismen spielten schon im 17. und 18. Jahrhundert eine Rolle.
    In Neuengland waren die Sommer kürzer und das Klima insgesamt rauer als in den weiter südlich gelegenen Kolonien, dennoch erfreuten sich die Menschen im Nordosten relativ guter Gesundheit. Die Puritaner jedenfalls dankten Gott dafür, dass sie hier ein Land gefunden hatten, in dem sie hart arbeiten konnten. Einer von ihnen schrieb: »Wer darauf aus ist, ein Volk rasch entarten zu lassen und es sowohl in geistiger wie in körperlicher Hinsicht zu verderben […], der suche nach fettem Boden, der bei wenig Anstrengung viel Ertrag bringt; wer aber danach strebt, Frömmigkeit und Gottesfurcht gedeihen zu lassen […], der wähle ein Land wie [Neuengland], das bei großer Anstrengung gerade genug einbringen wird.«
    Alan Taylor meint, in den nordamerikanischen Kolonien sei es bald zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zwischen Land, Menschen und Religion gekommen. Der kommerzielle Erfolg Neuenglands sei kein Symptom des Verfalls puritanischer Werte, sondern zeuge im Gegenteil von ihrer Kraft. Arbeit, so predigte zum Beispiel Mother Ann bei den Shakern, war eine Art von Gottesdienst, und wer für seine Arbeit belohnt wurde, konnte gewiss sein, dass Gottes Segen auf ihm ruhte. »Aus diesen

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