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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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führen, die ihrer Überzeugung nach des Teufels war. Mother Ann war einmal verheiratet gewesen und hatte offenbar nicht gerade angenehme Erfahrungen mit dem ehelichen Zusammenleben gemacht. Ihrer selbst erdachten Theologie zufolge gab es im Himmel keine Ehe; der Zölibat war deshalb die beste Vorbereitung auf das kommende Königreich Gottes. Zu den religiösen Riten der Shaker gehörten allerdings auch ekstatische Elemente: Singen, Schreien, der Schütteltanz, dem sie ihren Namen verdanken – all das war erlaubt, um den Glauben an den »Gott unserer Rettung« zu bekennen.
    Weil die Sekte überall in England Schikanen ausgesetzt war – Mother Ann wurde immer wieder als Hexe verleumdet –, machten sich im Jahr 1774 acht Shaker mit ihrer Anführerin nach Neuengland auf. Ihre radikale Reinheitslehre fand dort viele Anhänger; in der Blütezeit der Bewegung gab es mehr als zwanzig Niederlassungen, trotz der strengen Anforderungen konnten die Shaker insgesamt etwa zwanzigtausend Seelen für ihre utopischen spirituellen Gemeinschaften gewinnen.
    Sie praktizierten eine Art Kommunismus avant la lettre . Männer und Frauen waren vollkommen gleichwertig – auch in dieser Hinsicht war die Sekte revolutionär. Beide Geschlechter wohnten zwar unter einem Dach, aber strikt getrennt, viele Gebäude hatten sogar getrennte Treppen. Da es wegen der Ehelosigkeit keinen Nachwuchs aus den eigenen Reihen gab, wurden zahlreiche Waisenkinder adoptiert; darüber hinaus sorgten Konvertiten, aber auch die unterschiedlichsten Nichtmitglieder, die für kürzere oder längere Zeit mit den Shakern lebten und arbeiteten, für den Erhalt der Gemeinschaften. Wie bei manchen Klosterorden pflegte man die Mahlzeiten im Kreis der Brüder und Schwestern, aber schweigend einzunehmen. Arbeit galt als Gottesdienst, gemäß dem Motto » Hands to work and Hearts to God «. Schmuck, aufwändige Kleidung und Verzierungen an Gebrauchsgegenständen waren als Ausdruck weltlicher Eitelkeit verpönt; in allem erhob man Schlichtheit und Reinheit zum Ideal – auch als Symbol war der Besen allgegenwärtig.
    Charles Dickens hat 1842 einen kurzen Besuch der Shaker-Gemeinschaft in New Lebanon, New York, geschildert, wo er dem Gottesdienst der Shaker beiwohnen wollte: »In Erwartung derselben traten wir in ein trübseliges Zimmer, wo verschiedene Hüte grämlich an der Wand hingen und eine Uhr an der Wand jeden Schlag mit einer Art Widerwillen ertönen ließ, als wenn sie das mürrische Schweigen nur ungern bräche.«
    Nur während des sonntäglichen Gottesdienstes war alles anders, dann gerieten sämtliche Mitglieder der Gruppe in einen Zustand ekstatischer Begeisterung. Zu Lebzeiten Mother Anns hatte man in Trance noch eine gewisse Freiheit, doch später wurde auch die Ekstase Regeln unterworfen. Einer der Brüder hatte in einer Vision Engel vor Gottes Thron gesehen, die sich in weiten Kreisen bewegten, und so tanzten fortan auch die Shaker in Kreisen – im ersten, äußeren Kreis die Männer in der einen Richtung, im zweiten Kreis die Frauen ebenso ekstatisch in der anderen, manchmal gab es weiter innen zwei weitere Kreise, und im Zentrum sang der Chor.
    »Ausdruck der Reinheit und Jungfräulichkeit, auf die sie so stolz waren«, heißt es in einer der neuesten Studien zur Shakergemeinschaft, »waren die weißen Sonntagskleider der Schwestern, ergänzt durch weiße Hauben, blaue Schürzen und Schuhe mit blauen Spitzen und hohen Absätzen, und die blauen Gehröcke und Hosen der Männer. Schon nach kurzer Zeit wurden die Gehröcke abgelegt, und die Männer tanzten in Hemdsärmeln.«
    Alexis de Tocqueville, der 1831 an einem Gottesdienst der Shaker teilnahm, war nicht sehr angetan von dem, was er sah. Die besonders eifrigen Tänzer nickten im Takt mit dem Kopf, erzählte er in einem Brief, »weshalb sie ein wenig den chinesischen Porzellanfigürchen mit schiefen Köpfen glichen, die auf den Kaminsimsen unserer Großmütter standen.« Zwei Stunden habe das Ganze gedauert, der Gesang sei ohrenbetäubend gewesen.
    In späterer Zeit wurde erlaubt, dass sich einzelne Tänzer kreiselnd aus der Gruppe lösten; manche wussten danach, wie die Derwische der Sufibewegung, von besonderen spirituellen Erfahrungen zu berichten.
    Doch kein Mann berührte jemals eine Frau.
    Das Streben nach Reinheit, diese ganze spontane und emphatische Gläubigkeit hat Amerika in den Anfängen entscheidend geprägt. Natürlich ging es bei den meisten Neugründungen auch um wirtschaftliche Interessen

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