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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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puritanischen Werten entstand in Angloamerika eine Kultur, die sowohl außergewöhnlich unternehmend als auch ausgesprochen fromm war.« Und für die Puritaner war alles, was sie taten, in den Kirchen und Schulen, aber auch auf den Farmen und in den Werkstätten, Kontoren und Mühlen, ein Loblied auf Gott.
    Die Puritaner seien deshalb nicht nur Reinheitsfanatiker, sondern auch »unverbesserliche Macher« gewesen, meint Taylor, denn von ihrem Fleiß hing ihr Seelenheil ab. In Massachusetts wurde 1663 sogar ein Gesetz erlassen, das Zeitvergeudung unter Strafe stellte: »Keine Person, ob Familienoberhaupt oder nicht, soll ihre Zeit eitel oder unnütz verbringen, bei Strafe solcher Zuchtmaßnahmen, als das Gericht für passend erachten mag.« Das ausgeprägte Arbeitsethos konnte die Puritaner aber auch in ein Dilemma bringen. Einerseits belohnte Gott die Fleißigen und Frommen mit Wohlstand; andererseits durften Reichtum und »fleischliche Verlockungen« sie nicht zu sehr von der Vorbereitung auf das Königreich Gottes ablenken. Deshalb verlangte die puritanische Moral auch großzügige Spenden für fromme und mildtätige Zwecke, und auch die Reichsten durften nicht zu üppig leben. Wer sich daran hielt, lebte hier auf Erden richtig. Um es theologisch auszudrücken: Durch einen gottgefälligen Lebenswandel konnte man sich von der Erbsünde befreien.
    Der Philosoph und Theologe Reinhold Niebuhr hat einmal gesagt, in der amerikanischen Mentalität gebe es eine »Tiefenschicht messianischen Bewusstseins«. All die frommen Pioniere, so verschieden sie sonst auch waren, lebten in der festen Überzeugung, dass ihr streng geregeltes Gemeinschaftsleben und der harte Überlebenskampf in der Wildnis eine Art Läuterung bewirkten, dass sie eine neue, jungfräuliche Seite im Buch der Menschheitsgeschichte aufschlugen. »Jede Nation hat ihren eigenen spirituellen Stolz«, meinte Niebuhr. »In diesem Fall ist es Stolz darauf, dass unsere Nation den Lastern Europas den Rücken gekehrt und einen Neuanfang gewagt hat.«
    Diese Ansicht wird schon durch die erste, 1650 veröffentlichte Geschichte Neuenglands von Edward Johnson aus Massachusetts bestätigt. Allein der Titel spricht Bände: Wonder-Working Providence of Zion’s Saviour . In Johnsons Augen war Neuengland der Ort, an dem »der Herr einen neuen Himmel und eine neue Erde, neue Kirchen und ein neues Reich schaffen« werde. Ganz ähnlich dachte Thomas Jefferson, ein Mann der Aufklärung: Er empfand die Anfänge der amerikanischen Nation als Neubeginn in einer verdorbenen Welt und als Beispiel für die Macht Gottes »als Natur«. Oder der Autor Herman Melville, der 1850 schrieb: »Gott hat es vorherbestimmt, die Menschheit erwartet große Dinge von unserem Stamm, und große Dinge bewegen wir in unserer Seele. […] Lange genug haben wir uns selbst misstraut und haben gezweifelt, ob wirklich der politische Messias gekommen sei. Doch ist er gekommen in uns …«
    »As a city upon a hill« werde das neue Gemeinwesen sein, hatte der Puritaner John Winthrop, zweiter Gouverneur der Massachusetts Bay Company, in Anspielung auf eine Stelle in der Bergpredigt gesagt. »Die Blicke aller Menschen richten sich auf uns …« Hier liegen die religiösen Wurzeln des amerikanischen exceptionalism , der Überzeugung, die Vereinigten Staaten seien ein von Gott auserwähltes und gesegnetes Land, dessen Normen und Werte universal gültig seien. Weshalb auch alle Völker, die nicht in ihrer Entwicklung zurückbleiben wollen, diese Normen und Werte übernehmen müssten. Dieses Denken oder Empfinden ist weit verbreitet: Sechs von zehn Amerikanern glauben, die eigene Kultur sei allen anderen überlegen – dagegen sprechen zum Beispiel nur drei von zehn Franzosen ihrer Kultur eine solche Sonderstellung zu. Verbunden mit diesem Glauben ist die Ansicht, dass die Vereinigten Staaten in der Welt einen einzigartigen moralischen Status besitzen, dass sie aus diesem Grund eine einzigartige Rolle in der Geschichte spielen – und deshalb immer wieder ins Weltgeschehen eingreifen dürfen und müssen.
    Der Glaube an die Sonderstellung der Vereinigten Staaten erklärt, warum in den amerikanischen Medien das Leben von Amerikanern grundsätzlich mehr zählt als das von anderen und warum wesentliche Prinzipien des internationalen Rechts aus amerikanischer Sicht nicht für die Vereinigten Staaten gelten und wichtige internationale Verträge nicht ratifiziert werden. Die meisten Amerikaner hielten es für naturgegeben,

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