Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
ausgebildet, und im Herbst 1774 kam in Philadelphia der erste Kontinentalkongress zusammen – gefolgt von einem zweiten im Jahr darauf, als der Unabhängigkeitskrieg so richtig ausbrach.
Trotz aller Reibungen mit dem britischen Mutterland betrachteten die rebellierenden Kolonisten sich selbst zunächst kaum als Amerikaner. Sie waren stolz auf das britische Empire, dem sie angehörten, und auf die vielfältigen Möglichkeiten, Handel zu treiben, die es ihnen bot. London war auch für sie das politische und kulturelle Zentrum. Bezeichnend sind die vielen Pulverhörner, die ich im Heimatmuseum von Deerfield gesehen habe; kunstvoll bearbeitete Kuhhörner, in denen die kolonialen Soldaten ihr Schießpulver aufbewahrten. In die Hörner waren allerlei Parolen und szenische Darstellungen geschnitzt, manchmal sehr gekonnt, Kunsthandwerk von einfachen Soldaten, die jahrein, jahraus mit ihren Armeeeinheiten durch die amerikanischen Wälder zogen. Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein waren in die Hörner vor allem Schnörkel und Verzierungen gekerbt, und dazu das Adelswappen des Regiments, in dem die Betreffenden dienten, und Aufschriften wie: » John Corell, Horn Made at Fort Edward Oct 2nd 1758 «.
Aber dann liegt da plötzlich ein Horn aus dem Jahr 1775, von einem gewissen Stephen Upson mit der Aufschrift: » Success to America! « Und ein weiteres Horn von 1776, das einem gewissen Bartwich gehört hat und das üppig mit Waffen und Jagdszenen geschmückt ist, zeigt dort, wo früher das Wappen des Königs stand, das Porträt eines Menschen, der George Washington sehr ähnlich sieht. Darum rankt sich der Spruch: » Success to America! «
Die ersten Scharmützel zwischen den Yankees und den Briten fanden im April 1775 statt. Am 4. Juli 1776 erklärten die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit, doch das offizielle Dokument wurde erst am 2. August in Philadelphia von den meisten Abgeordneten der verschiedenen Staaten unterzeichnet. Der feierliche Moment wurde später auf vielfältige Weisen dargestellt, meistens sieht man eine stolze, fast überschwängliche Gesellschaft versammelt. In Wirklichkeit war die Stimmung eher bedrückt. Jedem war klar, dass seine Unterschrift in den Augen der Briten Hochverrat bedeutete, und der Ausgang des Kampfes, der vor ihnen lag, war alles andere als sicher.
Einer der Unterzeichner, der Arzt Benjamin Rush, beschrieb später in einem Brief, dass eine »schwermütige und schreckliche Stille« im Saal herrschte, als die Kongressmitglieder einzeln nach vorne gerufen wurden, um ihre Unterschrift zu leisten »unter ein Dokument, von dem viele in diesem Moment glaubten, es sei ihr Todesurteil«. Ein kräftig gebauter Abgeordneter bedachte einen mageren Kollegen sogar mit einem makabren Scherz dazu: Ich bin in wenigen Minuten tot, aber du mit deinem dürren Leib wirst stundenlang schlenkern und baumeln, »wenn wir alle aufgeknüpft werden für das, was wir hier tun«.
Von diesem Moment an gab es kein Zurück mehr. Erst nach acht Jahren blutiger Kämpfe sollten die Briten sich geschlagen geben.
Die Loslösung von Europa, wirtschaftlich und politisch, aber auch was Sprache und Mentalität angeht, verlief in der Praxis kontinuierlicher, als die Handvoll bekannter Jahreszahlen vermuten lässt. Die Amerikanische Revolution war nicht einfach ein Sprung von einem kolonialen in ein demokratisches System. Sie war vielmehr ein Entwicklungsprozess, ein Suchen und Tasten, das Generationen dauern sollte. Die Amerikaner waren nicht »frei geboren«, wie manche behaupten, und die Amerikanische Revolution war ebenso wenig ein Umsturz, der mit der Französischen oder Russischen Revolution vergleichbar wäre.
Eine bis an die Zähne bewaffnete Gesellschaft waren die Amerikaner auch nicht. Im Gegensatz zum gängigen Mythos war der Waffenbesitz in Amerika bis 1850 sehr eingeschränkt. Jeder hatte zwar das Recht, eine Waffe zu tragen, aber üblich war es nicht. Die Auswertung von Inventarlisten aus der Zeit von 1765 bis 1790 hat ergeben, dass es nur in 15 Prozent der betreffenden Haushalte ein Gewehr gab. Aus Registern der Behörden ergibt sich ein ähnliches Bild. Dass die Amerikaner seit frühester Zeit gewohnt sind, Waffen zu tragen, und dass der freie Waffenbesitz schon deshalb ein Grundrecht ist, ist ebenfalls ein Mythos.
Die Zeit nach dem Unabhängigkeitskrieg – der merkwürdige Krieg von 1812 eingeschlossen – ist also mindestens ebenso interessant wie die Revolution selbst. Es war
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