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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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andere Ufer des Niagara River, um Höflichkeiten mit seinen britischen Kollegen auszutauschen.
    Nach zwei Jahren Krieg wurde am 24. Dezember 1814 in der flämischen Stadt Gent ein Friedensvertrag unterzeichnet. Die Nachricht erreichte Washington erst am 15. Februar 1815. In der Zwischenzeit, am 8. Januar, war es den Amerikanern bei New Orleans gelungen, die britischen Truppen vernichtend zu schlagen – wenn auch mit Hilfe des berüchtigten Piraten Jean Lafitte und seiner Männer. So entstand bei den Amerikanern der merkwürdige Irrtum, sie hätten den Krieg gewonnen und die Bedingungen für den Frieden diktiert. In Wirklichkeit änderte sich fast nichts, jedenfalls nicht direkt.
    Und doch hatte dieser Zweite Unabhängigkeitskrieg tiefgreifende psychologische und politische Folgen. Amerika wurde mehr Amerika, und Kanada wurde mehr Kanada. Die Kanadier machten die Grenze weniger durchlässig, der Zustrom von Amerikanern wurde erheblich eingeschränkt. Das früher einmal blühende Grenzgebiet war von den Yankeemilizen stark zerstört und geplündert worden, und die Verbitterung darüber blieb viele Generationen lang bestehen.
    Alan Taylor zitiert einen Herbergswirt, dem die Amerikaner allen Hausrat gestohlen hatten, inklusive des Babyspielzeugs in der Wiege seines neugeborenen Kindes. Er hatte »einen tiefen Abscheu« gegen die Yankees entwickelt »und spürte zugleich deutlich die Segnungen des britischen Schutzes«. Aber der Riss verlief mitten durch seine Familie. Er hatte seinen ältesten Sohn enterbt, weil dieser auf der anderen Seite mitgekämpft hatte. Es blieb ein Bürgerkrieg.
    Kanada wurde erst im Jahr 1931 ein unabhängiger Staat. Es diente innerhalb des British Empire hauptsächlich dazu, die Macht der Amerikaner in Grenzen zu halten. Für viele Amerikaner fungierte es als eine Art »Anti-Land«, ohne großes nationales Ziel – außer dem eigenen Überleben.
    Auf der amerikanischen Seite der Grenze erschien nach dem Krieg von 1812 Uncle Sam auf der Bühne, das unbesiegbare Gegenstück zum britischen John Bull. Uncle Sam wurde zum Symbol für eine neue, idealistische und zielgerichtete Nation, ein einzigartiges historisches Experiment. Illustrativ für diese prägenden Jahre ist die bekannte Geschichte von Rip Van Winkle. Washington Irving schrieb das Märchen 1819. Van Winkle, ein sympathischer, aber behäbiger holländischer Bauer, war während eines Spaziergangs den Geistern von Henry Hudson und seiner Männer begegnet. Die hatten ihn auf einen Zaubertrank aus dem 17. Jahrhundert eingeladen, und anschließend war er eingeschlafen. Als er wieder aufwachte, hatte sein Gewehr Rost angesetzt, sein Bart reichte ihm bis zu den Füßen, und auch sein Dorf war nicht wiederzuerkennen. Seine schnippische Frau war gestorben, seine alten Freunde waren in einem merkwürdigen Krieg gefallen, und als er sich als treuer Untertan von König George III . zu erkennen gab, bekam er große Probleme. Aber das war noch nicht alles. Die ganze Gesellschaft schien sich verändert zu haben: Sein liebliches kleines Dorf war enorm gewachsen, statt der üblichen Ruhe herrschte eine »geschäftige und streitsüchtige Atmosphäre«; selbst die Sprache konnte er kaum noch verstehen, »ein babylonisches Kauderwelsch« voller neuer Begriffe wie »Bürgerrechte, Wahlen, Kongressmitglied, Freiheit«.
    Van Winkle, die Personifikation des traditionellen Kolonisten, war nach zwanzigjährigem Schlaf in einem vollkommen veränderten Land aufgewacht. Geld war auf einmal sehr wichtig, und überall, wie ein Zeitgenosse bemerkte, wo es eine Kirche, eine Kneipe und einen Schmied gab, konnte man auch eine Bank finden. 1831 waren auf den amerikanischen Flüssen bereits mehr als dreihundert Dampfschiffe unterwegs. Die tausendvierhundert Meilen stromaufwärts von New Orleans nach Louisville, die früher neun Monate Rudern und Jagen bedeutet hatten, schaffte solch ein Dampfschiff nun in neun Tagen.
    In ihren Briefen nach Hause berichten Alexis de Tocqueville und Gustave de Beaumont regelmäßig von der Faszination der Amerikaner für die Flussdampfer, die ständig Wettrennen veranstalten, bei denen die Feuer rotglühend geheizt und die Sicherheitsventile des Dampfkessels zugebunden wurden. Hinterher erklärten sie stolz, dass sie auf den Flussschiffen hundertmal mehr in Gefahr gewesen waren als während der Überquerung des Atlantiks: Im Laufe der ersten sechs Wochen ihres Aufenthalts in den Vereinigten Staaten seien dreißig Dampfer explodiert oder

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