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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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kaufte für hundertfünfzig Dollar einen Filmprojektor, mit dem er bereits eine Woche später
     dreihundert Dollar verdient hatte. Revolutionen werden von denen gemacht, denen es nicht darum geht.
    Am Anfang steht nichts als ein Instinkt, und Walter suchte in sich nach diesem Instinkt, im voraus zu wissen, was sich in
     ein paar Jahrzehnten über den Planeten ausbreiten wird und wofür die Menschen einmal ihr Geld ausgeben werden. Er suchte nach
     den entsprechenden Aktien, und das Erstaunliche war, daß Kristin ihm möglicherweise in ihren Ausstellungen solche Aktien präsentierte,
     er aber nicht in der Lage war, diese von einem Stück Toilettenpapier zu unterscheiden.
    Sein Zorn speiste sich aus einem Gemisch von Eifersucht und Ignoranz und vielleicht auch aus einer Enttäuschung darüber, daß
     er den Schlüssel zum Erfolg noch nicht gefunden hatte. Seine Theorien über die wunderbare Vitalität des Kapitalismus waren,
     was ihn persönlich betraf, unbewiesen.
     
    Die Straße ist etwas heller geworden, aber kaum belebter. Erleuchtete Einkaufszentren erstrecken sich auf einem Gelände, das
     weitläufig ist wie ein Flughafenrollfeld. Die Parkplätze bestimmen den Rhythmus der Bebauung. Jan fragt sich, wo all die Menschen
     wohnen, die hier Möbel, Autos, Kinderspielzeug und Haustiere kaufen sollen. An den Kreuzungen irritiert ihn der Oberleitungswirrwarr.
     Die Strommasten mit den Porzellanisolatoren wirken merkwürdig anachronistisch vor der modernen Shopping-Kulisse, den Glitzergirlanden
     des Chevrolet-Automarktes und den Parabolantennen.
    Kristin ist neben Jan eingeschlafen nach anderthalb Tagen |97| fahren und fahren. Vor sechsunddreißig Stunden sind sie überstürzt aufgebrochen, nachdem Kristin mit Walter telefoniert hatte.
     Hinterher saß sie auf der kleinen Treppe vor dem Bungalow, in dem sie übernachtet hatten, zweitausend Kilometer von New York
     entfernt, und vielleicht wären sie noch weiter gefahren, bis zum Pazifik oder sonstwohin, wenn Walter nicht angerufen hätte.
     Kristin brachte zuerst kein Wort heraus, und Jan mußte ein paarmal nachfragen, was geschehen war. »Walter ist am Ende«, hatte
     sie schließlich gesagt.
    Jan verstand soviel, daß sie zurück nach New York mußten. Er räumte mit Hank, dem irischstämmigen Amerikaner aus dem Nachbarbungalow,
     den Buick voll, während sich Ariel, Hanks Frau, um Kristin kümmerte und sie tröstete. Dann stiegen sie ein. Kristin wirkte
     wie unter Glas, während Jan versuchte, den Weg auf den Highway zu finden. Erst Stunden später begann Kristin zu reden: Walter
     hatte sich auf illegale Spekulationen eingelassen.
    Während Kristin berichtete, zog hinter ihrem Profil der nur mit Gras bewachsene Grünstreifen vorbei, der im Unendlichen mit
     den beiden Fahrbahnen verschmolz. Hin und wieder ein Schild:
Litter removal next 5 miles: Falkenstein & Berger-properties. Adopt-a-Highway.
Ein Stück Autobahn zur Reinigung adoptieren: Gelegentlich frappierte Jan die Konsequenz, mit der alles, was nicht zwingend
     dem Staat überlassen werden mußte, privat erledigt wurde.
    Für Walter war es eine Selbstverständlichkeit, daß nur Privatinitiative zu vernünftigen Ergebnissen führen konnte, in welchem
     Bereich auch immer. Und jetzt war er ein Opfer seiner Theorie geworden, weil er sich mit seiner Initiative nicht an die Regeln
     gehalten hatte. Allerdings war Kristin überzeugt, daß nicht er die treibende Kraft hinter |98| allem war, sondern Neil, sein Arbeitskollege und Freund, Neil, der Grabscher, beziehungsweise dessen Frau Cindy. Sie habe
     schon länger so etwas befürchtet, sagte Kristin, denn Neil besitze weder die nötige Spontaneität, noch habe er die Nerven,
     um erfolgreich an der Börse zu spekulieren, und also habe er Walter überredet, eine Abkürzung, welcher Art auch immer, zu
     nehmen, weil seine Frau endlich Geld sehen wolle.
    Kristin erzählte, Walter sei in letzter Zeit verändert gewesen. Offenbar habe er das Gefühl bekommen, der Erfolg stelle sich
     zu langsam ein. Die Nervosität des Mittelstreckenläufers bei einem Marathon. Allerdings war sie der Meinung, daß es nicht
     mit fehlender Kondition zu tun hatte, sondern mit fehlender Intuition. Bei Neil auf jeden Fall, aber wohl auch bei Walter,
     der zwar die Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte beherrsche, dem aber ein Gespür fehle für das, was am Boden dieser Märkte
     keime. Das zum einen. Zum anderen gehe es natürlich ums Geld. Ohne eigenes Kapital sei eben nichts zu

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