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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Erfahrungen weiterzugeben und damit
     zu erhalten. Er hielt diesen Vorgang für sinnvoll, wollte allerdings trotzdem keine Kinder haben. Er wußte nicht, warum bei
     ihm der Schutzmechanismus der Natur, der einen vor einsamem Altern bewahrte, nicht griff, er wußte nur, daß es so war. Er
     hätte nicht einmal behaupten können, in seiner Art zu leben eine Notwendigkeit oder gar eine Erfüllung zu sehen. Er empfand
     sein Leben als angenehm und war der Meinung, daß jeder in einer aufgeklärten, modernen Zivilisation zumindest diesen Zustand
     – egal, ob mit Kind oder ohne – erreichen konnte. Für Menschen, die über ihr Leben klagten, hatte er kein Verständnis. Er
     mied sie. Das einzige, was ihn hin und wieder beschäftigte, waren die klar sichtbaren Grenzen seines Systems. Wenn es stimmte,
     daß nahezu alle Frauen sich früher oder später ein Kind wünschten, dann war abzusehen, daß ihm irgendwann nur die Rolle |104| des alten Mannes mit einer jungen Liebhaberin blieb, und diese Vorstellung gefiel ihm nicht. Der Stolz ergrauter Männer darüber,
     daß die Frauen an ihrer Seite auch ihre Töchter sein könnten, erschien ihm affektiert. Immer war zu sehen, daß ein derartiges
     Verhältnis ein Handel war, und dafür, daß sich jemand etwas Schönes kaufen konnte, hatte Jan noch nie Bewunderung gehabt –
     erst recht mochte er es nicht, wenn der betreffende Gegenstand auch noch ausgestellt wurde. Jan wußte, daß das
sein
Paradoxon war, nur daß er sich ihm, im Gegensatz zu Kristin, erst in zehn Jahren würde stellen müssen.
     
    Die Lichtnaht endet, sie verlassen den Tunnel und sind damit zurückgekehrt nach Manhattan, dem Ausgangspunkt ihrer Reise.
     Im Grunde, denkt Jan, hat sich seit ihrer Abfahrt nichts geändert: Walter sitzt in seinem Zimmer, und es muß geredet werden.
     Eine Viertelstunde ist vielleicht noch zu fahren, Jan weiß es nicht genau, aber soviel ist klar, daß jetzt die letzte Gelegenheit
     ist, mit Kristin über die hinter ihnen liegende Woche zu sprechen, über die Nacht in dem Holzbungalow. Jan hat nie über Nächte
     geredet. Nächte sind nicht geschaffen, um Worte über sie zu verlieren. Aber diesmal ist es anders, er spürt deutlich, daß
     zwischen ihm und Kristin noch nicht alles gesagt ist, bevor sie in wenigen Minuten Walter gegenüberstehen werden. Jan läßt
     den Wagen an den Straßenrand rollen und zieht die Handbremse.
    »Laß uns reden«, sagt er.
    Kristin sieht ihn nicht an.
    »Warum?« sagt sie.
    Jan dreht sich zu ihr. Hinter ihrem Profil blinkt blau eine Neonreklame, die Kristins helle Haut rhythmisch mit einer kränklichen
     Patina überzieht. Jan versteht nicht, warum |105| sie nicht reden will. Seine Hand liegt immer noch auf dem Griff der Handbremse, als gebe der Kontakt zum Wagen ihm Sicherheit.
    »Weil ich es will«, sagt er.
    Sie dreht sich zu ihm. Sie ist entschlossen, aus der Geschichte kein Problem zu machen. »Es geht hier nicht nur um dich.«
    Jan sucht nach seiner sonst so instinktsicheren Leichtigkeit im Umgang mit Frauen. Gegenüber Kristin gelingt sie ihm nicht.
     Er versucht in ihrem Blick einen Hinweis darauf zu finden, was sie wirklich denkt. »Du willst so tun, als sei nichts passiert?«
    »Warum nicht? Ich finde, es ist nichts passiert«, sagt sie mit einem Tonfall, dessen Mühelosigkeit Jan erstaunt. »Walter vertritt
     in letzter Zeit den Standpunkt, daß Sex völlig überbewertet wird«, fügt sie hinzu wie eine Fußnote, die in der Lage sein sollte,
     Jans Bedenken auszuräumen.
    Jan ist sich nicht sicher, ob sie das ernst meint. »Walter behauptet viel«, sagt er und bemüht sich noch einmal um einen leichten
     Tonfall. »Wie siehst du es denn?«
    Kristin lehnt sich zurück. Jan kann die blinkende Neonreklame hinter ihr lesen:
Burger, Souvlaki, Falaffel.
    »Worüber willst du denn reden?« fragt sie, als stünden augenblicklich nur belanglose Themen zur Verfügung.
    »Zum Beispiel darüber, was vor zwei Tagen war«, schlägt Jan vor.
    Kristin schüttelt den Kopf: »Nichts, was Walter betrifft«, stellt sie fest. Sie verzieht nachdenklich ihre Nase, wodurch sie
     etwas bauchig wird wie ein umgedrehtes Fragezeichen.
    »Ich habe darüber nachgedacht«, sagt sie. »Wir haben nicht miteinander geschlafen. So sehe ich es.«
    »Du machst es dir sehr einfach«, sagt Jan, ohne so recht |106| zu wissen, warum. Schließlich bietet sie ihm die angenehmste Lösung an: die ganze Geschichte zu vergessen.
    »
Du
machst es dir zu einfach.« Ihre Stimme ist

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