Amerikanische Reise
nicht mehr ganz so reißfest wie vor wenigen Minuten. »Dieser Komet ist an allem
schuld: Katastrophe da oben, Katastrophe hier unten. Peng.«
»Sehr komisch.« Jan wendet sich ab. Vor drei Tagen, erinnert er sich, hat Kristin ihm erklärt, daß ein vergleichbarer Kometeneinschlag
auf der Erde zu einer Eiszeit führen würde. Sie haben sich darüber unterhalten, was man tun würde, wenn man es vorher wüßte.
Jan wurde klar, daß er nur sie wollte, Kristin, die neben ihm auf dem Beifahrersitz saß und ihn fragend ansah – er wollte
sie, und sei es für einen letzten Tag, ein paar letzte Stunden.
Die schwüle Außenluft dringt in den Wagen, weil die Aircondition nicht mehr arbeitet.
»
Du
fliegst in ein paar Tagen wieder nach Deutschland zurück«, stellt sie fest, »während ich hier vor einem Scherbenhaufen stehe.«
Das kann er nicht widerlegen. Er ärgert sich. Er hat in der vergangenen Woche viel über sich geredet. Je länger er mit Kristin
unterwegs war, um so mehr hat er erzählt, während sie neben ihm zuhörte. Sie ließ nie erkennen, was sie über sein Verhältnis
zu Frauen dachte.
Die Erinnerung an dieses Fahren nirgendwohin löst Jans Verärgerung jetzt auf. Er denkt daran, wie Kristin morgens die
New York Times
gelesen hat, wie sie auf Rastplätzen in die Sonne blinzelte und wie sie abends mit einem übergeworfenen T-Shirt aus der Dusche kam und sich neben ihn auf die Eingangsstufen irgendeines Motelzimmers setzte. Einen Augenblick lang stellt
Jan sich vor, den Wagen zu wenden und wieder loszufahren. Er will sie immer noch. Einen Tag, eine Woche. Jahre. Warum nicht.
|107| Er sieht sie an.
»Ich liebe dich«, sagt er.
Sie lacht auf, als hätte er erklärt, er sei in Wirklichkeit schwul. »Hör doch auf«, sagt sie. »Fahr zurück nach Deutschland
und vergiß alles.«
Jan dreht sich zur Straße.
»Die Wievielte bin ich denn?« sagt sie. Die Härte ihres Tons schmerzt ihn. »Versteh bitte: Es hatte mit dir nichts zu tun«,
fügt sie etwas weicher hinzu. »Deine Eitelkeit ist verletzt. Das ist alles.«
Jan will nicht aufgeben. Er sieht jetzt in Kristin alles, was ihm in seinem bisherigen zwar angenehmen, aber seltsam gestaltlosen
Leben gefehlt hat. Er bildet sich ein, das Knäuel müsse sich entwirren lassen, wenn sie ihm nur ebenfalls ihre Liebe eingesteht
– er weiß, daß sie es nicht tun wird.
Er läßt den Motor an, und innerhalb von Sekunden steigt Verachtung für Walter und sie und ihre Ehe in ihm auf, aus der sie
sich nicht befreien kann, weil ihr Mut gerade mal dazu reicht, für eine Woche auszubrechen, um dann, kaum läuft bei Walter
irgend etwas schief, umzukehren und sich dabei selbst zu bedauern und darüber zu jammern, daß das Leben eine Einbahnstraße
ist. Vergiß alles!, als seien die schönen Jahre vorbei und man denke am besten nicht mehr daran, daß man nicht immer durch
triste Wohngebiete gefahren ist. Jan weiß, warum er so ein Leben nicht lebt. Eins hat er sich vorgenommen: erst bei seiner
Beerdigung tot zu sein.
Kristins Stirn spiegelt sich im Rhythmus der Reklame bläulich auf dem Innern der Windschutzscheibe. Von einem auf den anderen
Moment erscheint sie Jan häßlich. Ihre Nase ist bauchig, stupsig und zu kurz.
»Wieso verläßt du Walter nicht«, sagt er, und in seiner |108| Stimme liegt eine Abfälligkeit, als habe sich sein über Jahre kultivierter geschmeidiger Ton ins Gegenteil verkehrt. »Wieso
hast du ihn überhaupt geheiratet? Er versteht nichts vom Leben.«
Sie starrt auf die leere Straße, und Jan spürt, daß seine Bemerkung sie getroffen hat.
»Er ist dein ältester Freund«, sagt sie nach einer Weile.
Jan hebt die Schultern. »Ich habe nie behauptet, ein guter Mensch zu sein.« Sie tut ihm jetzt leid, und er hat das Bedürfnis,
etwas Versöhnliches zu sagen. Er erinnert sich nicht mehr, ob sie für ihn, als er sie kennengelernt hat, wirklich etwas Besonderes
war. Ihn erstaunt heute manchmal der Hunger, mit dem er früher geliebt hat, als müsse er sämtliche auf einem Tisch angerichteten
Speisen versuchen. Mit den Jahren lernt man, daß es nicht nur Delikatessen gibt, und im Lichte dieser Enttäuschungen blühen
die frühen Nächte auf.
»Ich habe dich damals schon geliebt«, sagt er, bemüht um einen aufrichtigen Ton, der ihm nicht gelingt.
»Du überschätzt dich maßlos«, sagt Kristin, die in seiner Bemerkung nichts Versöhnliches entdecken kann. »Ich habe mich in
Walter nicht mangels Alternativen
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