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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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verliebt.« Alternativen hätte es gegeben, denkt Jan, aber sie hatte den Mut nicht, sie zu
     ergreifen. »Was ist denn mit eurer Ehe? Ihr streitet darüber, wer an den Geburtstag des Freundes gedacht hat! Noch eine Nummer
     kleiner geht es nicht. Walter neidet dir deine Freiheit, und du achtest seinen Beruf nicht. Wenn er wirklich kein Geld mehr
     hat, wirst du ihn über kurz oder lang verlassen.«
    Kristin dreht sich mit einer heftigen Bewegung um: »Was bildest du dir ein«, sagt sie und öffnet die Wagentür. »Als hättest
     du ein Recht, solche Fragen zu stellen.«
    Sie steigt aus, geht zu einer Straßenlaterne und lehnt sich |109| an. Die Gegend ist menschenleer, und Jan hat zum ersten Mal den Eindruck, es könnte besser sein, sich nicht auf der Straße
     herumzutreiben. Die Asphaltdecke ist abgeplatzt und hat wellige Kopfsteinseen zurückgelassen. Er öffnet seine Tür. Die schwüle
     Luft riecht nach vermoderten Speiseresten. Er geht auf Kristin zu, bleibt vor ihr stehen und weiß nicht, wohin mit seinen
     Händen.
    »Es tut mir leid«, sagt er.
    Kristin ist nicht in der Lage, sich mit Kühle zu umgeben. Sie hat nie ernsthaft darüber nachgedacht, Walter zu verlassen.
     Auch nicht in der Zeit mit Rick. Das Wissen darum, alle Voraussetzungen zu haben, im Leben auch alleine bestehen zu können,
     hat ihr keine innerliche Unabhängigkeit verschafft. Irgend etwas hat sie davon abgehalten, ihre Möglichkeiten zur Eigenständigkeit
     zu nutzen. Sie hat Walter geliebt, aber nicht nur deswegen hat sie ihn geheiratet. Walter war bereit, Verantwortung für ihr
     Leben zu übernehmen, und dagegen konnte sie sich nicht schützen, weil ihr ihre Angst vor Schutzlosigkeit nicht bewußt war.
     Jan, der jede Verantwortung, außer der für sein eigenes Leben, ablehnte, hatte bei ihr nie eine Chance. Weder vor dreizehn
     Jahren noch in der vergangenen Woche.
    Kristin überblickt den Bürgersteig. Die Ampeln an der nächsten Kreuzung schalten für niemanden. Sie ärgert sich über Jans
     Eitelkeit, darüber, daß er glaubt, sie wolle eigentlich ihn und besitze nur nicht den Mut, sich von Walter zu trennen. Sie
     hat das Bedürfnis, Jan zu beweisen, daß sie zu Walter steht, daß ihre Ehe nicht zu einer leeren Gewohnheit geworden ist, sondern
     gerade in schwierigen Situationen Stärke zu beweisen vermag. Einen Moment lang ist sie erfüllt von dem Gedanken, auf der richtigen
     Seite zu stehen wie eine Heilige. Jan ist erschöpft. Er kann das Gespräch nicht dorthin steuern, wo er es in seiner Vorstellung |110| während der hinter ihnen liegenden Fahrt hat ankommen sehen. Kristin kann nicht aus ihrem Leben heraus, und er kann es auch
     nicht. Er schüttelt den Kopf. »Du hast recht«, sagt er. »Wir haben nicht miteinander geschlafen. Wir sollten fahren.«
    Ein Gruppe Jugendlicher biegt um die Ecke, Schwarze und Weiße, soweit Jan erkennen kann. Sie tragen Jeans oder knielange Shorts,
     darüber flattrige T-Shirts mit Aufdruck. In Jan steigt die Unsicherheit wieder auf, die er empfunden hat, als er den Motor abgestellt hat und sich die
     Stille über die menschenleere Straße legte.
    Kristin nimmt keine Notiz von der Gruppe, die allmählich näher kommt. Jan hat das Gefühl, daß sie sich in irgendeinen Gedanken
     verirrt hat, der ihm für immer fremd bleiben wird. Er sieht sie an, und es schmerzt ihn, daß die hinter ihnen liegende Woche
     schon jetzt tiefste Vergangenheit ist, eine so endgültige Vergangenheit, daß es unsicher ist, ob sie überhaupt stattgefunden
     hat.
    »Und was sagen wir Walter?« fragt Jan und versucht, die Entfernung zu den Jugendlichen zu schätzen, fünfzig Meter vielleicht.
     Baseballschläger kann er keine erkennen.
    »Nichts«, sagt Kristin und zeigt immer noch keine Reaktion auf eine drohende Gefahr. Jan bemüht sich, ruhig zu bleiben, und
     vernimmt das gleichmäßige Geräusch des hinter ihnen laufenden Motors, den er, er erinnert sich, wieder angestellt hat, kurz
     bevor Kristin den Wagen verlassen hat. Er würde den Motor nicht hören, wenn die Jugendlichen grölten, denkt er, aber er weiß
     nicht, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, daß sie sich nur gedämpft unterhalten.
    »Sind die ungefährlich?« fragt Jan ohne Hoffnung, Kristin aus ihrer Starre zu lösen. Es wäre sowieso längst zu spät, zum Wagen
     zu kommen. Zwanzig Meter ist die Gruppe |111| noch entfernt, und es bliebe nicht genug Zeit, loszufahren – selbst bei laufendem Motor.
    Kristin reagiert nicht. Jan sieht sie an

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