Amerikanische Reise
öffnet die Tür. Sie gehen durch den Flur, es riecht nach Zigarettenrauch, hier und da sind Lampen an, die Räume wirken
wie alltäglich bewohnt, nur daß Geräusche fehlen, kein Klappern einer Tastatur, kein Schnaufen der Kaffeemaschine oder Prasseln
von Wasser in der Duschkabine. »Walter?« sagt Kristin und sieht in die Küche, dann ins Wohnzimmer, auf dessen Tisch ein voller
Aschenbecher steht. Die Anzeigen der Stereoanlage leuchten. Kristin öffnet die Tür zum Schlafzimmer, macht Licht. Noch einmal
ruft sie Walters Namen, dann dreht sie sich zu Jan, der auch keinen Rat weiß. Er betritt das Badezimmer und sucht den Lichtschalter,
der außerhalb angebracht ist und den Kristin jetzt betätigt. Die schwarzweißen Kacheln und die Badewanne mit der aufmontierten
Duschwand. Ein leichter Geruch nach Seifenpaste |114| und Feuchtigkeit. Jan dreht sich um. Kristin geht zurück ins Wohnzimmer und setzt sich, steht wieder auf und öffnet ein Fenster,
um den Zigarettendunst hinauszubekommen. Anstatt sich über Walter Gedanken zu machen, wundert sich Jan jetzt, daß er in der
vergangenen Woche nicht wieder mit dem Rauchen angefangen hat. Er sieht die Schachtel neben dem Aschenbecher liegen und geht
zum Tisch. Er nimmt das Päckchen und klappt es auf, es ist leer. Kristin dreht sich zu ihm und sieht ihn an, als bewundere
sie seinen Scharfsinn. »Das wird es sein«, sagt sie und nickt. »Er ist Zigaretten holen.« Jan legt die Schachtel wieder auf
den Tisch und korrigiert das Mißverständnis nicht.
Ein Schlüssel wird in der Wohnungstür gedreht, sie öffnet sich und fällt wieder ins Schloß. Walter betritt den Raum. Er legt
zwei Zigarettenschachteln auf den Tisch und geht auf Kristin zu, umarmt sie. »Schön, daß du wieder da bist«, sagt er und streicht
ihr durch die Haare. Sie umarmt ihn auch, und Jan muß daran denken, daß er sie vor nicht einmal einer Stunde ebenso umarmt
hat. Sie lösen sich voneinander, und Walter wendet sich Jan zu. Er macht einen aufgeräumten, gutgelaunten Eindruck und sieht
lediglich um die Augen etwas erschöpft aus.
»Ich hoffe, die Fahrt hat sich gelohnt«, sagt er ohne Unterton, ohne einen unausgesprochenen Vorwurf oder gar Verdacht. »Wie
geht es dir?« sagt Kristin.
Walter winkt ab. »Das wird schon wieder«, sagt er, und jetzt ist zu hören, daß er die Unbeschwertheit nur spielt. Er nimmt
eine der Zigarettenschachteln vom Tisch und reißt sie auf. »Ich habe mich mit ein paar Leuten in der Bank unterhalten, die
meine Arbeit schätzen. Sie sind nicht begeistert, aber sie denken, die Sache wird sich in Ordnung bringen lassen.«
|115| Jan spürt, daß das nur die halbe Wahrheit ist, aber sowohl er als auch Kristin sind zu müde, um genauer nachzufragen. Offensichtlich
besteht auch keine ausgesprochene Eile, und es ist nicht geboten, noch an diesem Abend alle Konsequenzen bis ins letzte Detail
zu besprechen.
»Hast du mit Neil geredet?« fragt Kristin und fügt hinzu: »Soll ich einen Kaffee machen?«
Walter schüttelt den Kopf. »Vielleicht ist es besser, morgen alles zu besprechen.« Er zündet sich eine Zigarette an. »Neil
behauptet«, sagt er, und die Zigarette hüpft im Rhythmus seiner Worte, »mit allem nichts zu tun zu haben.« Er stößt den Rauch
aus.
»Und?« fragt Kristin, und ihr unterläuft ein leiser Verhörton. Walter sieht sie an, nicht verärgert, aber leicht irritiert.
Für den heutigen Abend hat er nur Verständnis erwartet. »Ich habe doch gesagt, daß er mich reingelegt hat. Er hat meinen Account
benutzt.«
»Er kennt dein Password?«
Walter ist jetzt gereizt. »Wir arbeiten zusammen.«
Kristin nickt. Sie hat den Mißton selbst bemerkt und bemüht sich, die Verstimmung auszuräumen: »Ich will nur sagen, daß ich
es nicht verurteilen würde, wenn es nicht so gewesen wäre.«
Walter versteht sie jetzt falsch. Er liest aus ihrer Bemerkung einen Vorwurf heraus. »Muß ich mich hier verteidigen?« sagt
er. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen, außer Neil vertraut zu haben.« Er lehnt sich zurück.
Kristin ist jetzt ihrerseits verärgert, da er nicht verstehen will, daß sie auf seiner Seite steht. »Ich meine nur«, bemerkt
sie, »irgend jemand muß die Codes ja geknackt haben.«
Für Walter ist damit klar, daß sie nicht bereit ist, ihn zu schonen. Er weiß, daß er keine Schonung verdient hat, |116| und trotzdem erwartet er sie von seiner Frau. Er steht auf. Es sei nicht schwer, Codes zu knacken, erklärt
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