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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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sieht, mit denen er nichts zu tun haben möchte. Im Moment bleibt ihm keine Wahl, hier geht es nicht weiter, und er wendet
     sich um und geht zurück zu der weiß gekachelten Treppe, die auf halber Höhe eine Kehrtwendung macht. An der Wand dort hängt
     ein Werbeplakat, wieder ein Parfum, diesmal allerdings ohne Reißbrettmodels, sondern nur der Flakon mit der goldenen Flüssigkeit
     ist abgebildet:
Paco Rabanne, XS
, was, wie dem Plakat zu entnehmen ist, für
excess
steht, und darunter sind lexikonartig ein paar nähere Bestimmungen vermerkt:
ecstasy, bliss, nirwana.
Am unteren Rand ist eine Internet-Nummer vermerkt:
http://www.homeshop.com.
Das Plakat, denkt Jan, wendet sich schon nicht mehr an seine Generation, sondern an die folgende, an Ecstasy-schluckende und
     Internet-surfende Techno-Kids, mit denen ihn nichts verbindet. Als er sich umdreht, um auch die zweite Treppenhälfte |161| hinunterzusteigen, steht am unteren Treppenabsatz, als hätten sich seine Gedanken materialisiert, ein Vertreter dieser Ecstacy-Generation
     mit Baseballkappe, Jeans und Totenkopf- T-Shirt . Jan will weitergehen, aber irgend etwas in ihm ist beunruhigt, vielleicht durch den Blick dieses Ecstacy-Jugendlichen, der
     so gar nichts von der friedlich-narzißtischen Grundhaltung offenbart, die man dieser Generation immer nachsagt. Auch ist die
     Kleidung nicht mit Akkuratesse verschmuddelt und zerrissen, sondern auf natürlichem Wege verwahrlost. Obwohl Jan sicher ist,
     kein ängstlicher Mensch zu sein, wirft er jetzt doch einen schnellen Seitenblick auf den nach oben führenden Treppenast, und
     fast wundert es ihn nicht, daß sich dort noch einmal dieselbe Erscheinung materialisiert hat wie auf der anderen Seite. Kristin,
     die Heilige, die ihn vielleicht hätte schützen können, ist jetzt verschwunden, und auf einmal ist alles nur noch simple, fast
     banale Realität: die beiden Jugendlichen vor ihm und das Excess-Plakat in seinem Rücken. Er ist in der Zange, und sie kommen
     näher. Jan sieht nur die Möglichkeit, sie anzusprechen, sein Geld können sie haben, dafür wird er sich nicht schlagen.
What do you want?
sagt er ungelenk, aber sie reagieren nicht, ihre Gesichter bleiben starr. Jan denkt kurz an den Beamten vor seiner Monitorwand,
     aber er kann keine Kameras entdecken, die die Szene beobachten und in den Kontrollraum senden könnten. Der Beamte wird sich
     weiter langweilen, wird nicht erlöst von seinem Nichtstun, weder durch ihn noch durch die weiße Kristin, die wieder auf ihr
     Plakat zurückgekehrt ist und ihn hier, in dem gekachelten Treppenhaus seinem Schicksal überläßt, das er jetzt nicht mehr abwenden
     kann. Die beiden stehen vor ihm, und er spürt ihren Atem. Dann zerreißt ein Schmerz seine Bauchdecke. Die Wucht des Stichs
     wirft ihn gegen die Wand mit |162| dem Parfumplakat. Er knickt ein, und ein Schlag wirbelt ihn herum wie bei einer Pirouette. Sein Gesicht trifft dumpf auf Paco
     Rabannes Flakon mit der goldenen Flüssigkeit. Jan denkt, wenn es wenigstens ein
Calvin-Klein - Model
wäre, wenn es Kristin wäre, die ihn jetzt ansähe, die sähe, wie er nicht zum Helden wird, wie er nicht den richtigen Schlag
     kennt, den blitzschnellen Schulterüberwurf im rechten Moment, wenn es wenigstens sie wäre, die sähe, wie er gedemütigt wird,
     weil er der Gewalt nichts entgegenzusetzen hat, außer einem ungelenken
What do you want? –
er würde etwas darum geben, und wenn sie ihn noch so unbeteiligt ansähe mit den dunklen Augen in ihrem embryoweißen Körper.
     Sie hätte ein Recht dazu, nicht mit ihm zu leiden. Sie hätte ein Recht dazu nach dem, was vor dem Bungalow war. Aber sie ist
     es nicht. Es sind nur die Buchstaben der
Excess -
Synonyme, die jetzt von unten nach oben durch Jans Blickfeld ziehen und auf denen seine Nase eine rote Spur hinterläßt:
ecstasy,
ein weiterer Schlag,
bliss,
dann ein Tritt. Jans Körper ist nichts als Schmerz, der sich stärker und stärker in ihm ausbreitet. Die Helligkeit des Plakats
     vor seinen Augen beginnt zu flackern wie eine Glühbirne, die kurz vor dem Ende steht. Und während das Bild langsam dunkler
     wird, beginnt auf wundersame Weise der Schmerz sich aufzulösen, fährt aus ihm heraus wie ein fremdes Wesen und läßt ihn schließlich
     frei.
Nirwana.

|163| 3 bad lands
    |165| Ich habe das Experiment durchgeführt, indessen mich vernünftige Überlegungen bereits zuvor fest davon überzeugt hatten, daß
     die Wirkung genauso eintreten muß, wie sie eben

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