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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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eingetreten ist.
    GALILEO GALILEI an Francesco Ingoli
     
    Suttree kniete sich in den Sand und ließ einen Stein übers Wasser hüpfen. Eine kurvige Spur aus Ringen. Das andere Ufer lag
     tief beschattet. Die Sandbänke zierlich vernäht mit den Fährten von Wanderratten. Sie war neben ihm in die Knie gegangen und
     knabberte an seinem Ohr. Die weiche Brust an seinem Arm. Woher dann diese Einsamkeit?
    CORMAC MCCARTHY,
Verlorene
     
    |167| Früher begannen Romane häufig mit einer Vorrede. Die Autoren wiesen darauf hin, daß die von ihnen erzählte Geschichte vieles
     enthalte, was dem Leser, gemessen an seiner Erfahrung, unwahrscheinlich vorkommen könne – ungewöhnliche Ereignisse, besondere
     Charaktere   –, und sie begründeten, warum es trotzdem gerechtfertigt sei, die Geschichte aufzuschreiben, auch wenn sie auf den ersten
     Blick mit dem gewöhnlichen Leben nur wenig zu tun habe. Um die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu erhöhen, tarnten sie sich
     mitunter als Chronisten, denen die Geschichte angeblich aus verläßlicher Quelle überliefert worden sei, oder sie beriefen
     sich auf alte Manuskripte, deren Inhalt sie wahrheitsgetreu wiedergäben. Diese aus heutiger Sicht merkwürdigen Konstruktionen
     hatten auf den ersten Blick den Sinn, die Skrupel des Autors zu mildern, dem Leser schlicht eine erfundene, nur der Fantasie
     entsprungene Geschichte vorzusetzen. Man könnte das Ganze demnach als Unsicherheit oder auch Marotte betrachten – der wahre
     Sinn der Vorreden könnte aber ein ganz anderer gewesen sein: Sie waren möglicherweise nichts als ein Vehikel, um gleich zu
     Anfang darauf hinzuweisen, wie erstaunlich die Geschichte eben sei, wie einzigartig und damit wie lesenswert. Sie waren ein
     Trick: ein scheinbar seriöses literarisches Entree, das doch nur den Zweck hatte, dem Leser den Mund wäßrig zu machen. Kaum
     einem dieser Autoren, die |168| im Anschluß an die Vorrede auf Hunderten von Seiten die haarsträubendsten Abenteuer erzählten, kann man, so scheint es, ernsthafte
     Skrupel wirklich abnehmen.
    Wenn heute Hollywood eine seiner Großproduktionen weltweit in die Kinos schickt, geschieht dies fast nie, ohne daß bereits
     Monate vorher häppchenweise Details, Szenen, Plotfragmente oder Klatsch vom Set in die Presse lanciert werden. Wochen vor
     dem Filmstart kondensiert aus diesem Informationsnebel dann der Werbefeldzug, und im Fernsehen gibt es erst einmal ein Making-of,
     bevor sich dann endlich der Vorhang öffnet und die Geschichte über die Leinwand geht. Vergleicht man diese Strategie mit den
     Vorreden aus den Anfängen des Romans, findet man keine nennenswerten Unterschiede. Den Schriftstellern früherer Zeiten fehlten
     lediglich die Medien, in denen sie ihre Vorrede hätten plazieren können, deswegen mußten sie sie dem Roman selbst voranstellen.
     Sie mußten die Erwartung selbst erzeugen, mit der sie das Publikum zum Lesen ihrer Geschichte verführten. Hollywood hat also
     mit seinen Vermarktungsstrategien keine neue Erfindung gemacht, sondern lediglich einen alten Trick adaptiert und für das
     Medium Film perfektioniert.
    Was an dem ganzen Vorgang dennoch beeindruckt (oder manche auch abstößt), ist der Erfolg, mit dem in den USA alte Ideen umgesetzt
     werden. Weder der Traum von der Mondlandung noch der Computer sind wirklich neu, nur hat man sie in Europa oder anderswo über
     Jahrhunderte oder Jahrtausende stets in einem geistigen Raum betrachtet und gepflegt und in dem Gedanken an ihre Realisierung
     – so erscheint es fast – beinahe etwas Unanständiges gesehen. Noch zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde die Dissertation eines
     deutschen Ingenieurs über Raketen und ihre technische Realisierbarkeit von seiner |169| Fakultät entschieden zurückgewiesen. Als er sie anschließend in Buchform herausgab, wurde sie zu einem Bestseller.
    Die Frage, warum Amerika erfolgreich ist, ist kompliziert, kann aber auch sehr einfach beantwortet werden: Amerika ist erfolgreich,
     weil es nie eine andere Chance hatte, als erfolgreich zu sein. Während sich Europa erst aus einem Wust von Herrschaftsformen
     herausarbeiten mußte, die nicht dem Erfolg, sondern Gottes Gnaden oder ähnlichen nicht überprüfbaren Zielen verpflichtet waren,
     ist Amerika durch eine einfache Einwanderermentalität geprägt: Entweder man hat Erfolg, oder man geht unter. Der Behauptung,
     die daraus hervorgegangene Kultur bedrohe den Fortbestand der europäischen und anderer Kulturen, liegt die Angst

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