Amerikanische Reise
Vorderseite
oder auf die Rückseite stürzt.«
»Das ist ja erstaunlich«, sagt Jan. »Sie wissen, daß es einen Treffer gibt, aber nicht, aus welcher Richtung geschossen wird?«
»Der Komet bewegt sich nicht auf einer geradlinigen Bahn«, erklärt Kristin und gleitet in einen professionellen Tonfall. »Bei
einer Roulettekugel weißt du auch nicht, welche Nummer sie trifft. Wenn er auf der Rückseite einschlägt, wäre es bitter.«
Sie klappt ihre Sonnenblende herunter. »Die Astronomen säßen hinter den Kulissen.«
Jan sieht sie an. »Dann müssen sie eben auf die nächste Vorstellung warten«, stellt er ohne größeres Bedauern fest.
»Das kann ein paar Millionen Jahre dauern«, erklärt Kristin. Obwohl sie der mathematischen Forschung seit Jahren den Rücken
gekehrt hat, ist deutlich, daß ihr Interesse für naturwissenschaftliche Fragen nach wie vor groß ist.
Die Trägerkonstruktion einer Brücke hebt sich aus der Landschaft. Die Metallrippen wachsen bananenfarbigen Wolken entgegen.
Der Buick rollt über ein Tal, das wie die Furche eines Linolschnitts die Ebene durchzieht.
»Glaubst du, daß etwas daran liegt? Vielleicht ist der Zusammenstoß bedeutungslos«, sagt Jan, der im Moment die Erde und den
Cinemascope-Horizont vor sich viel reizvoller findet als die Ereignisse auf irgendeinem unwirtlichen Planeten sonstwo. »Von
Astronomen erfährt man nichts«, stellt er fest. »Wenn man sie fragt, ob so ein Brocken auch die Erde treffen kann, sagen sie
dir am Telefon, daß es wahrscheinlich noch ein paar Millionen Jahre dauert. Oder aber es ist nächste Woche soweit.«
|188| »Was hätten denn die Menschen davon, wenn sie wüßten, daß in zwei Jahren Weltuntergang ist?«
Jan hebt die Schultern. »Wahrscheinlich käme es auf der Stelle zum Krieg, weil jeder in der verbleibenden Zeit alles für sich
haben will.«
Ein Schild kündigt einen Ort ein paar Meilen vom Highway entfernt an. Jan nimmt die Ausfahrt, er hat Hunger. Egal, ob man
ißt oder schläft oder sonst was macht, denkt er, man setzt immer darauf, daß es weitergeht. Für Endzeitgerede hat er noch
nie etwas übrig gehabt. In fünf Milliarden Jahren, hat er gelesen, wird die Erde in die Sonne stürzen wie
Shoemaker-Levi
auf den Jupiter. Vielleicht schauen dann Astronomen eines anderen Sterns zu, weil es für sie ein einmaliges Schauspiel ist.
Und wenn deren Welt abstürzt, sehen wieder andere zu. Und so weiter. Irgendwo ist immer Ende und irgendwo ist immer Anfang.
Die Sonne bricht durch die Wolken und gießt einen diffusen Lichtsee über die Grassteppe. Kristin kneift die Augen zusammen.
»Was würdest
du
denn tun, wenn du es wüßtest?«
Jan hebt die Schultern. »Wahrscheinlich würde ich weitermachen wie bisher«, sagt er. »Wenn es finanziell möglich wäre, würde
ich aufhören zu arbeiten, das schon.«
»Jeden Tag eine andere Frau?« Kristins Hautfarbe ist jetzt indianisch, beziehungsweise so, wie Jan sich indianische Hautfarbe
vorstellt. »Vielleicht wollen sie dann nicht mehr. Könnte doch sein, daß sich in der verbleibenden Zeit alle fest binden.
Wer will schon alleine sterben?«
Jan ist immer mißtrauisch, wenn mit dem Tod argumentiert wird. Wenn man nicht mehr weiterweiß, heißt es: Bedenke, daß du sterblich
bist! Aber wieso soll die Zubereitung eines Gerichts von der Tatsache abhängen, daß der Topf irgendwann leer ist?
|189| Der angekündigte Ort besteht aus vielleicht zwanzig verwitterten Häusern, die entlang der Straße aufgereiht sind. Links erstreckt
sich ein größeres Bahngelände. Über die Schienen kriecht ein Güterzug, dessen Ende Jan nicht ausmachen kann, obwohl die Gleise
schnurgerade neben der Straße verlaufen. Er nimmt das Gas weg und parkt den Wagen zwischen zwei staubigen Kleinlastwagen,
die vor einem trostlosen Fenster mit ein paar vertrockneten Topfpflanzen und einem
Budweiser -
Schild stehen.
»Warum soll der Tod leichter sein, wenn man zu zweit ist? Vielleicht macht man sich nur gegenseitig verrückt«, fragt er und
zieht die Handbremse. »Man streitet sich womöglich darüber, ob man in der Bibel blättern oder sich in der Badewanne betrinken
soll.«
Kristin schmunzelt. Mit den Grübchen sieht es aus, als sei ihr Mund eingeklammert. »Und? Wofür wärst du?«
»Für die Badewanne natürlich. Aber nur zu zweit, sonst ist es trostlos.«
»Also doch«, sagt Kristin.
»Jetzt bist
du
dran.« Jan stellt den Motor ab. »Was würdest du tun?«
Sie steigen aus. Der
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