Amerikanische Reise
bei Mozart
geblieben wäre, |182| erinnerte sich Kristin, der die Sache peinlich gewesen ist, obwohl sie nichts damit zu tun hatte. Damals sei ihr klargeworden,
sagte sie, daß man in dem, was man macht, perfekt sein muß, oder man muß es lassen, wenn man sich nicht lächerlich machen
will.
Sie stand auf. Jan gab ihr seinen Becher, und sie ging zum Papierkorb. Er überblickte träge das Areal. Ihm war aufgefallen,
daß die Nummernschilder einzelner Staaten oft mit einer näheren Bestimmung versehen wurden. New Jersey nannte sich
Garden State,
Connecticut
Constitution State,
und Vermont warb mit
Green Mountains.
Besonders entschieden langten die Einwohner von New Hampshire zu:
Live free or die,
verkündeten sie auf ihren Nummernschildern, was Jan erstaunte, weil der Spruch ebensogut auf dem rostigen V W-Bus einer Underground-Band hätte stehen können. Jan war sich sicher, daß er in Deutschland keine Chance auf offizielle Verbreitung
hätte, weil man in Deutschland – so sah er es – mit Freiheit immer die kleine Freiheit meinte, die geschützte Freiheit, die
Freiheit im Gehege.
Jan blinzelte wieder in die Sonne und ließ die Welt noch einmal zu einem Schattenspiel werden, in das sich nach einer Weile
langsam die Silhouette des Buicks schob. Er ging auf den Wagen zu. Kristin hielt die Tür auf, und er stieg ein. Dann fuhren
sie wieder durch die blaßgrüne Ebene mit dem blauen Himmel, in dem ein paar ausgefranste Wolkenschleier trieben. Weizenfelder,
Maisfelder, Maisfelder, Weizenfelder. Der Highway.
Dann die Nächte. Seit Jan neben Kristin aufgewacht war, fühlte er sich mehr und mehr zu ihr hingezogen. Er genoß ihre Nähe;
es gefiel ihm, sie anzusehen, wenn sie ihm im
Diner
eines Einkaufszentrums gegenübersaß und erklärte, daß sie Ahornsirup, den Walter liebe,
scheußlich
|183| finde, und sich bei dem
sch
ihre Nasenflügel zusammenzogen, als rieche es seit Stunden nach nichts anderem. Es kam Jan vor, als habe es zehn Jahre lang
nur eines Auslösers bedurft, um die Leidenschaft für Kristin in ihm zu entzünden, als habe er zehn Jahre lang darauf gewartet,
mit ihr in einem Wagen zu sitzen und zu fahren, ohne sich über die Richtung Gedanken zu machen.
Hin und wieder legte er seinen Arm um ihre Schultern und spürte, daß es ihr angenehm war. Er spürte, daß schon lange kein
Mann mehr den Arm um ihre Schultern gelegt hatte, wie nebenbei, auf einem Parkplatz. Er spürte, daß sie schon lange nicht
mehr beim Autofahren reden und reden konnte und sich schon lange nicht mehr beim Sonnen gegen eine Schulter gelehnt hatte,
ohne daß die Zeit drängte. Er spürte, daß es Jahre her war, daß sie sich, wie ertappt, die Hand vors Gesicht halten und dabei
lachen mußte, weil sie sich an einem Souvenirstand nicht von irgendwelchem Krimskrams losreißen konnte. Er spürte, daß sie
schon lange nicht mehr das Gefühl gehabt hatte, geliebt zu werden. Er spürte ihre Nervosität.
Abends kam sie stets mit einem T-Shirt aus der Dusche, das gerade über ihre Hüften reichte. Darunter trug sie einen der neuen Slips, einer von denen mit den zwei
Finger breiten Stegen. Sie rieb sich die Haare mit einem Handtuch trocken und legte sich ins Bett neben Jan, der, gegen seine
Gewohnheit, wie sie ein T-Shirt trug. Sie stützte sich auf seine Brust, und sie redeten über dies und das. Sie redeten nicht über Walter. Und sie redeten
nicht über den nächsten Tag.
Sie schliefen nebeneinander ein, ohne daß Jan sich ihr noch weiter näherte. Er verstand nicht, warum er zögerte, vielleicht,
sagte er sich, war es die Angst, das zu zerstören, was er genoß: einfach nur mit ihr unterwegs zu sein.
|184| Die Tatsache, daß Walter einer seiner ältesten Freunde war, hätte ihn nicht davon abgehalten. Drei Nächte verbrachten sie
so.
Es ist bekannt, daß Galileo Galilei keinen Erfolg hatte, als er die päpstlichen Nuntien aufforderte, durch sein Teleskop zu
sehen, um sich persönlich von der Richtigkeit seiner Theorien zu überzeugen. Entsprächen Teleskopaugen der Natur des Menschen,
argumentierten sie, so hätte Gott ihn mit solchen erschaffen. Galilei erklärte ihnen, daß er mit Hilfe des Fernrohres vier
bislang unbekannte Himmelskörper in der Nähe des Jupiters entdeckt habe, die sich ohne Zweifel um diesen bewegten wie die
Erde um die Sonne. Mit dem Jupiter habe man die Möglichkeit, ein Planetensystem wie das unsere zu beobachten, bestehend aus
einem Zentralgestirn und
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