Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
meiner Tasche, direkt an meinem Herzen, vibriert ein Handy.
Ich taste nach dem Knopf und nehme den Anruf an.
»Ich habe die Nachricht gerade im Radio gehört«, sagt Joe. »Man hat am Fluss eine Leiche gefunden.«
»Wo?«
»In der Nähe der Isle of Dogs.«
So sieht es aus: Ein trüber Mittwochnachmittag, heftiger Wind und Wellen, die gegen die Pfeiler vom Trinity Pier schwappen. Ein Schwimmbagger mit hoch erhobenen, skelettartigen Armen und schwarzen Rohren, die sich schlangenartig über das Deck winden, liegt tief im Wasser, das im Licht der Scheinwerfer nicht mehr braun, sondern schmutzig weiß wirkt. Die Wasserschutzpolizei ist vor Ort, und zwei Zodiacs aus imprägniertem Leinen mit Holzboden kämpfen gegen die Strömung der Ebbe an und verteilen Plastikbojen in ihrem Kielwasser.
Der Professor parkt an einer Straße, die bei der Mündung des River Lea in die Themse als Sackgasse endet. An dieser Stelle ist
der Fluss zweihundert Meter breit, am gegenüberliegenden Ufer zeichnen sich die Umrisse des Millenium Dome vor dem haferschleimfarbenen Himmel ab.
Auf der Metallrampe löst sich »New Boy« Dave aus einer Gruppe Detectives. Seine Schultern zittern, und er weiß nicht, ob er mir ins Gesicht spucken oder es mit seinen Fäusten bearbeiten will. Speichelblasen sammeln sich auf seiner Unterlippe.
»Verpissen Sie sich! Verpissen Sie sich einfach!« Es ist beinahe ein Klageruf. Es geht um Ali.
Ich blicke über seine Schulter zu den Polizeitauchern, die ihre Ausrüstung und die Sauerstoffflaschen vorbereiten.
Er stößt mich vor die Brust. Keiner will mich dabeihaben. Ich bin ein Außenseiter und Einzelgänger, schlimmer noch: Ich bin ein Verräter. Dave saugt den Speichel ein. Ich will sagen, dass es mir Leid tut, aber der Kloß in meinem Hals bewegt sich nicht. Die anderen Detectives umringen uns wie Kinder bei einer Spielplatzrauferei. Joe versucht, dazwischenzugehen. »Ali würde das nicht wollen. Sagen Sie uns einfach, was Sie gefunden haben.«
»Leck mich.«
Ich versuche, mich an Dave vorbeizudrängen, doch er packt meinen Arm und schleudert mich heftig gegen die Staumauer. Ein Schlag in die Nierengegend lässt mich zu Boden gehen. Dave steht über mir und sieht wüst und derangiert aus. Er hat sich auf die Unterlippe gebissen, Blut läuft über sein Kinn.
Dem, was folgt, fehlt es zugegebenermaßen an einer gewissen Eleganz. Ich versenke meine Fäuste in seinem Schritt und packe zu. Dave stöhnt mit einer hohen, quäkenden Stimme und sinkt auf die Knie. Ich lasse nicht los.
Er hebt die Fäuste, um mich in den Boden zu hämmern, aber ich drücke noch fester zu. Er rollt sich erneut zusammen und kann seinen Kopf nicht mehr heben. Ich hauche mit heißem Atem gegen seine Wange.
»Komm mir nicht auf die miese Tour, Dave«, flüstere ich. »Du warst doch bis jetzt immer einer von den Guten.«
Ich lasse ihn los und richte mich auf, bis ich an der Wand sitze und auf das glatte dunkle Wasser starre. Bemüht, wieder zu Atem zu kommen, rappelt sich Dave neben mir auf. Ich blicke zu den anderen Detectives und sage ihnen, sie sollen uns alleine lassen.
»Wer wurde gefunden?«
»Wir wissen es nicht«, sagt Dave mit einer angedeuteten Grimasse. »Der Bagger hat die Leiche in zwei Hälften zerteilt.«
»Lassen Sie mich einen Blick draufwerfen.«
»Wenn Sie den armen Kerl nicht von der Hüfte abwärts erkennen, nutzt es keinem, schon gar nicht mir.«
»Wie ist er gestorben?«
Die Pause vor seiner Antwort dauert zu lange. »Es gibt Spuren von einer Schusswunde.« Im selben Atemzug reckt er den Hals und blickt an mir vorbei. Neben der Werft ist ein Leichenwagen vorgefahren. Die Hecktüren werden geöffnet, und eine Trage gleitet heraus.
»Ich wollte nicht, dass Ali etwas zustößt – das wissen Sie.«
Er betrachtet seine Fäuste. »Tut mir Leid, dass ich Sie geschlagen habe, Sir.«
»Ist schon in Ordnung.«
»Campbell flippt aus, wenn er erfährt, dass Sie hier sind.«
»Dann erzählen Sie es ihm nicht. Ich werde auch nicht im Weg rumstehen.«
Als die letzten Strahlen des kargen Sonnenlichts die Türme von Canary Wharf treffen, lassen sich vier Taucher rückwärts von den Zodiacs fallen und gleiten, fast ohne eine Spur auf der Oberfläche zu hinterlassen, wie glatte Seehunde unter Wasser.
Der Einsatzleiter ist ein kleiner Mann mit einem breiten gewölbten Brustkorb. Er trägt einen Taucheranzug, in dem er aussieht wie aus Ebenholz geschnitzt. Er hievt eine Sauerstoffflasche in ein Boot und wischt sich
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