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Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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taucht auf. Der Sergeant trägt einen orangefarbenen Overall und eine Baseballkappe, dazu eine Schwimmweste, die seine Brust aussehen lässt wie ein Fass. Er bietet mir eine Hand an, als ich über die Gangway humpele. Ali hat sich einen Sonnenhut aufgesetzt, als würden wir zum Angeln fahren.
    Ein Touristenboot schippert vorbei, und unser Boot schaukelt in seinem Kielwasser. Camcorder und Digitalkameras halten den Augenblick fest, als wären wir Teil der grandiosen Londoner Kulisse. Der Sergeant gibt Gas, wir wenden gegen die Strömung und fahren unter der Southwark Bridge hindurch flussaufwärts.
    An der Innenseite einer Biegung fließt der Fluss immer schneller, rauscht an den Steinmauern entlang, zerrt an den ankernden Booten und schiebt Wellen gegen die Brückenpfeiler.
    Ein junges Mädchen mit langen schwarzen Haaren rudert einen Einer. Ihr Rücken ist gebogen, ihre Unterarme sind schweißnass. Ich beobachte das Kielwasser und hebe dann den Blick zu den Gebäuden und dem Himmel darüber. Vor dem blauen Hintergrund sehen die hohen weißen Wolken wie Kreidespuren aus.

    Das Millenium Wheel scheint im All schweben, statt Touristen baggern zu sollen. Eine Schulklasse sitzt auf Bänken daneben, die Mädchen in karierten Röcken und blauen Strümpfen. Jogger traben auf dem Albert Embankment an ihnen vorbei.
    Ich kann mich nicht erinnern, ob es eine sternklare Nacht war. Wegen des Lichts und der Luftverschmutzung sieht man die Sterne in London nur selten. Bestenfalls tauchen sie als ein halbes Dutzend blasser Punkte am Himmel auf, und manchmal kann man im Südosten den Mars ausmachen. In bewölkten Nächten liegen manche Uferabschnitte fast völlig im Dunkeln. Bei Sonnenuntergang werden die Tore verriegelt.
    Vor einem Jahrhundert haben Leute davon gelebt, Leichen aus der Themse zu fischen. Sie kannten jede kleine Stromschnelle und jeden Strudel, in dem eine Wasserleiche auftauchen könnte. Sie kannten die Ankerketten und Seile, die Hausboote und schwimmenden Inseln, die in der Strömung lagen.
    Als ich aus Lancashire nach London kam, war ich zunächst bei der Thames Water Police. Pro Woche haben wir zwei Leichen aus dem Wasser gefischt, meistens Selbstmörder. Die Kandidaten sieht man ständig, über Brückengeländer gelehnt starren sie in die Tiefe. Das ist das Wesen des Flusses – er kann alle Hoffnungen und Träume forttragen oder sie unversehrt zurückbringen.
    Die Kugel, die mein Bein durchlöchert hat, war mit hoher Geschwindigkeit unterwegs: Ein Heckenschütze hat aus großer Entfernung geschossen. Es muss so hell gewesen sein, dass der Schütze mich sehen konnte. Oder er hat mit einem Infrarotsichtgerät gearbeitet. Er kann sich in einem Umkreis von tausend Metern überall aufgehalten haben, wahrscheinlich war er jedoch nur halb so weit entfernt. Aus fünfhundert Metern kann man die Streuung in Zentimetern messen – genug, um das Herz oder den Kopf zu verfehlen.
    Dies war kein gewöhnlicher Auftragskiller. Nur wenige Schützen verfügen über derartige Fertigkeiten. Die meisten Killer schlagen
aus kurzer Distanz zu, liegen auf der Lauer oder schließen vor einer roten Ampel zum Wagen des Opfers auf und feuern eine Ladung Kugeln durchs Fenster. Dieser war anders. Er hat vollkommen still auf dem Bauch gelegen, den Schaft seiner Waffe an die Wange geschmiegt, den Abzug streichelnd… ein Scharfschütze ist wie ein computergesteuertes Schießsystem, er kann Entfernung, Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Lufttemperatur einrechnen. Irgendjemand muss ihn ausgebildet haben – wahrscheinlich das Militär.
    Ich lasse den Blick über die zerklüftete Skyline aus Fabriken, Kränen und Wohnblocks schweifen und versuche, mir vorzustellen, wo der Schütze sich versteckt hatte. Er muss oberhalb von mir postiert gewesen sein. Es war bestimmt nicht leicht, ein Ziel auf dem Wasser zu treffen. Die kleinste Brise oder eine winzige Bewegung des Bootes, und er hätte danebengeschossen. Und bei jedem Schuss hätte das Gewehrfeuer seine Position verraten.
    Das Wasser fließt wegen der Ebbe weiter ab, der Fluss schrumpft in sich zusammen und entblößt seine schlammigen Ufer. Möwen streiten sich um Krümel im Schlick, und Überreste uralter Pylonen ragen wie verfaulte Zähne aus den Untiefen.
    Der Professor sieht ausgesprochen unbehaglich aus. Ich glaube nicht, dass Schnellboote ihm bekommen. »Warum waren Sie auf dem Fluss?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Dann spekulieren Sie.«
    »Ich habe jemanden getroffen oder

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