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Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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Wir machen Fehler und stellen uns den Konsequenzen. Der Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, dass ich einen Gott habe. Er wird mich richten und hier rausbringen. Fragen Sie sich je, wer Sie richten wird?«
    Er wirkt selbstbewusst. Warum? Vielleicht weiß er von der Lösegeldforderung. Jede Andeutung, dass Mickey noch leben könnte, würde ihm automatisch einen neuen Prozess garantieren.
    »Warum kommt Mrs. Carlyle hierher?«
    Er hebt in gespielter Kapitulation die Hände und lässt sie wieder sinken. »Sie will wissen, was ich mit Mickey gemacht habe. Sie hat Angst, ich könnte sterben, bevor ich es irgendjemandem erzählt habe.«
    »Sie nehmen Ihre Insulinspritzen nicht regelmäßig.«
    »Wissen Sie, was passiert, wenn ich in ein diabetisches Koma falle? Erst wird mein Atem schwer. Mein Mund und meine Zunge sind völlig ausgetrocknet. Mein Blutdruck sinkt, und mein Puls wird schneller. Die Sicht verschwimmt, bis die Augen schmerzen. Schließlich werde ich bewusstlos. Wenn man mich nicht schnell genug findet, erleide ich ein totales Nierenversagen, und mein Gehirn wird dauerhaft geschädigt. Kurz danach sterbe ich.«

    Er scheint sich in diesen Details zu suhlen, als würde er sich darauf freuen.
    »Haben Sie ihr erzählt, was mit Mickey geschehen ist?«
    »Ich habe ihr die Wahrheit gesagt.«
    »Sagen Sie sie mir.«
    »Ich habe ihr erklärt, dass ich kein unschuldiger Mensch bin, mich aber dieses Verbrechens nicht schuldig gemacht habe. Ich habe gesündigt, aber diese Sünde habe ich nicht begangen. Ich glaube an die Heiligkeit des menschlichen Lebens. Ich glaube, alle Kinder sind Geschenke Gottes, rein und unschuldig geboren. Sie handeln nur hasserfüllt oder gewalttätig, weil wir sie Hass und Gewalt lehren. Sie sind die Einzigen, die mich wahrhaft richten können.«
    »Und wie sollen die Kinder Sie richten?«
    Er verstummt.
    Unter seinen Achseln haben sich Schweißflecken gebildet und derart ausgebreitet, dass sein Hemd an seiner Haut klebt und ich jede Sommersprosse und jedes Muttermal sehen kann. Aber auf seinem Rücken erkenne ich noch etwas anderes, das den Stoff gelblich verfärbt hat.
    Howard muss sich über die rechte Schulter umsehen, um mich anzuschauen, und verzieht leicht das Gesicht. Im selben Moment zerre ich ihn mit Gewalt über den Tisch und reiße, ohne auf seine gedämpften Schreie an meinem Unterarm zu achten, sein Hemd hoch. Das Fleisch sieht aus wie eine matschige Melone. Entzündete, eitrige Wunden, aus denen Blut und eine gelbe kristalline Flüssigkeit triefen.
    Mehrere Gefängniswärter kommen auf uns zu. Einer hält sich ein Taschentuch vor den Mund.
    »Holen Sie einen Arzt«, schreie ich. »Los!«
    Befehle werden gebrüllt, Telefonate getätigt. Howard kreischt und schlägt mit den Armen um sich, als würde er in Flammen stehen. Plötzlich hält er still und breitet seine Arme auf dem Tisch aus.

    »Wer hat Ihnen das angetan?«
    Er antwortet nicht.
    »Reden Sie mit mir. Wer hat das getan?«
    Er murmelt etwas, das ich nicht verstehe. Ich beuge mich vor und schnappe die Worte auf: »Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht… und führe uns nicht in Versuchung …«
    Er verbirgt etwas im Ärmel seines Hemdes. Ich ziehe es heraus, und er lässt mich. Es ist der Holzgriff eines Springseils, in das ein dicker Draht geflochten ist. Selbstkasteiung, Selbstverstümmelung – Fasten und Geißeln –, kann mir das bitte mal jemand erklären?
    Howard schüttelt meine Hand ab und steht auf. Er will nicht auf einen Arzt warten und auch nicht mehr reden. Er schlurft mit flachem Atem und schlappenden Schuhen zur Tür, seine Haut ist gelblich. Im letzten Moment dreht er sich noch einmal um, und ich erwarte den flehenden Blick eines geprügelten Hundes.
    Seine Augen drücken aber etwas anderes aus. Der Mann, an dessen Verurteilung wegen Mordes ich mitgewirkt habe, der sich mit einer Drahtpeitsche selber geißelt, jeden Tag angespuckt, verhöhnt, bedroht und misshandelt wird… dieser Mann empfindet Mitleid für mich .
    Fünfundachtzig Stufen und neunundvierzig Stunden – so lang war Mickey vermisst worden, als ich einen Durchsuchungsbefehl für die Dolphin Mansions Nummer elf präsentierte.
    »Überraschung«, sagte ich, als Howard die Tür öffnete. Seine großen Augen traten ein wenig hervor, und er machte den Mund auf, gab aber keinen Laut von sich. Er trug ein Schlafanzugoberteil, lange Shorts mit Gummizug und dunkelbraune Slipper, die das Weiß seiner Schienbeine

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