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Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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besuchen kommt.«
    »Mrs. Carlyle.«
    »Ja. Sie ist heute nicht hier. Sie kommt jeden Monat und versucht immer das gleiche Geschenk mitzubringen: Kinderkataloge. Der kranke Spinner darf auf keinen Fall eine Revision kriegen! «
    Ich versuche mir vorzustellen, wie Howard Rachel gegenübersitzt.
Hat sie über die Abtrennung hinweg seine Hand ergriffen? Ich spüre einen Stich von Eifersucht und male mir aus, wie sein Blick in den V-Ausschnitt ihrer Bluse schweift. Wir leben in einer kranken Welt.
    »Ich muss mit Howard sprechen.«
    »Er ist in Einzelhaft.«
    »Warum?«
    Der Gefängnisdirektor knibbelt an den Fingernägeln. »Wie ich schon sagte, niemand erwartet, dass er lange überlebt. Er hat Alexej Kuznets kleine Tochter ermordet! Das ist, wie immer Sie es sehen wollen, ein Todesurteil.«
    »Aber Sie haben es geschafft, ihn zu schützen.«
    Er stößt ein trockenes Lachen aus. »Das könnte man sagen. Er war erst vier Tage hier, als jemand ihm mit einer Rasierklinge an die Kehle ist. Den nächsten Monat hat er im Krankenhaus verbracht. Seitdem hat ihn niemand mehr angerührt, also denke ich mir, dass Alexej ihn lebend will. Howard ist das egal. Sehen Sie ihn sich doch an.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Er weigert sich, wie schon gesagt, sein Insulin zu nehmen. Im letzten Monat ist er zwei Mal in ein diabetisches Koma gefallen. Wenn es ihm schnurz ist, warum sollte es dann Ihre Majestät kümmern, hä? Ich würde das Schwein sterben lassen.«
    Der Gefängnisdirektor spürt, dass ich anderer Ansicht bin.
    »Im Gegensatz zur gängigen Meinung, Inspector, bin ich nicht hier, um für die Gefangenen das Kindermädchen zu spielen. Ich halte nicht ihre Hand und sage: ›Ihr armen Dinger hattet eine schlimme Kindheit, einen beschissenen Anwalt oder einen strengen Richter.‹ Ein angeleinter Hund könnte meine Arbeit genauso gut verrichten.«
    (Und bestimmt mit sehr viel mehr Mitgefühl.)
    »Ich muss ihn trotzdem sprechen.«
    »Für ihn ist heute kein Besuch angemeldet.«
    »Aber Sie können ihn holen lassen.«

    Der Gefängnisdirektor grunzt einem Wachoffizier leise etwas zu, worauf der einen Telefonhörer nimmt und die Befehlskette in Gang setzt. Irgendwo in den Eingeweiden dieser Institution wird Howard von irgendjemandem geholt. Ich stelle mir vor, wie er auf seiner schmalen Pritsche liegt und die säuerliche Luft schnuppert. Die Zukunft ist eine beängstigende Sache, wenn man als Pädophiler im Gefängnis sitzt. Sie ist nicht der nächste Sommerurlaub und auch kein langes Wochenende im Lake District. Die Zukunft dehnt sich von dem Moment, in dem man aufwacht, bis zu dem Moment, in dem man wieder einschläft. Sechzehn Stunden können einem vorkommen wie ein ganzes Leben.
    Die Besuchszeit ist fast zu Ende. Howard drängt gegen den Strom und geht, als ob seine Beine gefesselt wären. Er sieht sich in dem Raum nach seinem Besucher um, vielleicht erwartet er Rachel.
    Mehr als vierzig Jahre später kann ich immer noch den fetten Jungen aus der Schule erkennen, der sich hinter einem Handtuch umgezogen und am Asthmaspray gehangen hat. Er war beinahe eine tragische Gestalt, aber nicht so tragisch wie Rory McIntyre, ein Schlafwandler, der in den frühen Morgenstunden des Gründungstags von einem Balkon im dritten Stock gestürzt ist. Es heißt, Schlafwandler wachen im Flug auf, aber Rory gab keinen Mucks von sich. Es klatschte auch nicht laut auf, er war schon immer ein guter Turmspringer gewesen.
    Howard nimmt Platz und wirkt nicht überrascht, als er meine Stimme hört. Er hält nur inne, wendet den Hals und dreht seinen Kopf wie eine alte Schildkröte. Ich trete vor ihn, und er blinzelt mich langsam an.
    »Hallo, Howard, ich möchte mit Ihnen über Rachel Carlyle sprechen.«
    Ganz langsam verzieht er den Mund zu einem Lächeln, sagt jedoch nichts. Direkt unter dem Kinn verläuft eine Narbe quer über seinen Hals.

    »Sie kommt Sie besuchen. Warum?«
    »Die Frage sollten Sie ihr stellen.«
    »Worüber redet ihr.«
    Er blickt zu den Schließern. »Ich muss gar nichts sagen. In fünf Tagen ist meine Revisionsanhörung.«
    »Sie kommen hier nicht raus, Howard. Niemand will Sie freilassen. «
    Wieder lächelt er. Es gibt Menschen, deren Stimme gar nicht zu ihnen passt, und Howard ist so ein Mensch. Seine Stimme ist zu hoch, wie mit Helium gefüllt, und sein blasses Gesicht scheint von seinem Körper losgelöst wie ein weißer Luftballon an einer Schnur, der sich träge im Wind bewegt.
    »Wir können nicht alle perfekt sein, Mr. Ruiz.

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