Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
dem Dunkel. Ich würge Erbrochenes und braunes Wasser hervor. Es quillt mir aus Nase, Mund und Ohren.
Eine Frau taucht auf und schwebt über mir. Sie nähert ihre Hüfte der meinen und presst sich gegen meine Brust. Sie beugt sich nach unten, und unsere Lippen berühren sich. Ein blasses Muttermal breitet sich auf ihrem Hals aus und tropft in die Mulde zwischen ihren Brüsten.
Das Aufwachen dauert lange. Ich will den Traum nicht verlassen. Ich öffne die Augen und spüre etwas, das ich lange nicht mehr gespürt habe – jedenfalls nicht so. Ich hebe die Decke ein paar Zentimeter an, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht irre. Es sollte mir peinlich sein, aber ich fühle mich mild euphorisch. Wenn ich dieser Tage eine Morgenlatte zustande bringe, ist das ein Grund zum Feiern.
Aber meine Euphorie ist nicht von Dauer. Ich muss an Mickey, das Lösegeld und die Schießerei auf dem Fluss denken. Zu viele Teile fehlen. Es muss weitere Briefe gegeben haben. Was habe ich mit ihnen gemacht? Ich habe sie an einem sicheren Ort deponiert. Ich hätte gewollt, dass jemand die Wahrheit erfährt, wenn mir bei der Lösegeldübergabe etwas zustößt.
Als Joe gestern meine Brieftasche durchgesehen hat, befand sich darin die Quittung für ein Einschreiben, das ich irgendwem geschickt haben muss. Ich zerre meine Hose vom Stuhl und breite die Quittungen auf dem Bett aus. Die Druckerschwärze ist beinahe komplett ausgewaschen, aber die Postleitzahl ist noch lesbar, und das reicht.
Daj nimmt nach dem ersten Klingeln ab und brüllt ins Telefon. Ich glaube, sie versteht die drahtlose Technik nicht und denkt, ich würde in eine Konservendose sprechen.
»Es ist jetzt drei Wochen her. Du liebst mich nicht.«
»Ich war im Krankenhaus.«
»Du rufst nie an.«
»Ich habe dich letzte Woche zwei Mal angerufen. Du hast jedes Mal aufgelegt.«
»Quatsch!«
»Ich bin angeschossen worden.«
»Liegst du im Sterben?«
»Nein.«
»Siehst du! Du machst immer ein Drama aus allem. Dein Freund hat mich besucht – dieser Psychologe, Dr. O’Loughlin. Er war sehr liebenswürdig. Er ist zum Tee geblieben …«
Während dieses ganzen Schuldtrips führt sie ein zweites Gespräch mit jemandem im Hintergrund. » Mein anderer Sohn, Luke, ist ein Gott. Ein schöner Junge, blonde Haare… Augen wie Sterne. Er bricht mir das Herz .«
»Hör mal, Daj, ich muss dich was fragen. Habe ich dir etwas geschickt?«
»Du schickst mir nie was. Mein Luke ist eine so sanfte Seele… Vielleicht könnten Sie ihm etwas stricken. Eine wärmende Weste .«
»Komm, Daj. Denk bitte scharf nach.«
Das stößt auf irgendeinen Widerhall in ihr. »Du hast mir einen Brief geschickt. Du hast gesagt, ich soll darauf aufpassen. «
»Ich komm dich jetzt besuchen. Bewahre den Brief gut auf.«
»Bring mir Datteln mit.«
Das Hauptgebäude der Villawood Lodge sieht aus wie eine alte Schule mit Giebeldächern und fratzenhaften Wasserspeiern über den Fallrohren. Der Sandstein ist bloß Fassade, darunter
verbirgt sich ein rotes Backsteingebäude aus den 70er Jahren mit Aluminiumfenstern und Dachziegeln aus Zement.
Daj erwartet mich auf der überdachten Veranda. Sie lässt sich von mir auf die Wangen küssen und sieht enttäuscht aus, weil ich nur eine einzige Schachtel Datteln mitgebracht habe. Ihre Hände und Finger sind ständig in Bewegung, sie streicht sich damit über die Arme, als würde etwas über ihre Haut krabbeln.
Ali versucht, im Hintergrund zu bleiben, doch Daj mustert sie argwöhnisch.
»Das ist Ali«, stelle ich sie vor.
»Sie ist sehr dunkel.«
»Meine Eltern wurden in Indien geboren«, erklärt Ali.
»Hmmmmpf!«
Ich weiß nicht, warum Eltern ihre Kinder immer in Verlegenheit bringen müssen. Vielleicht ist es eine Strafe für das Gequengel, das Gekotze und die schlaflosen Nächte.
»Wo ist der Umschlag, Daj?«
»Nein, erst musst du mit mir reden. Sonst nimmst du ihn und läufst weg – genau wie beim letzten Mal.« Sie wendet sich an eine Gruppe älterer Heimbewohner. »Das ist mein Sohn Yanko! Ja, der Polizist. Derjenige, der mich nie besuchen kommt.«
Ich spüre, wie ich rot werde. Daj hat nicht nur den Namen einer Jüdin gestohlen – sie hat gleich ihr ganzes Wesen angenommen.
»Was soll das heißen, ich bin beim letzten Mal weggelaufen?«
Sie wendet sich an Ali. »Sehen Sie, er hört nie zu. Nicht mal als Baby hat er zugehört. Nur Flausen im Kopf.«
»Wann war ich zum letzten Mal hier?«
»Siehst du! Du hast es vergessen, so lange ist es schon
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