Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
her. Luke vergisst so etwas nicht. Luke kümmert sich um mich.«
»Luke ist tot, Daj. An welchem Tag war ich hier?«
»Hmmmpf! Am Sonntag. Du hattest die Zeitungen dabei und hast auf einen Anruf gewartet.«
»Woher weißt du das?«
»Die Mutter von diesem vermissten Mädchen hat dich angerufen. Sie muss sehr aufgeregt gewesen sein. Du hast ihr gesagt, sie soll Geduld haben und auf den Anruf warten.«
Sie beginnt wieder, sich mit den Händen über die Arme zu streichen.
»Ich muss diesen Umschlag sehen.«
»Du findest ihn nie, wenn ich dir nicht sage, wo er ist.«
»Dafür habe ich jetzt keine Zeit.«
»Du hast nie Zeit. Ich möchte, dass du mit mir spazieren gehst.«
Sie trägt ihre Wanderschuhe und einen warmen Mantel. Ich nehme ihren Arm, und wir schlurfen in Zeitlupe über den weißen Kiespfad, während sie versucht, mit mir Schritt zu halten. Eine Gruppe von Heimbewohnern macht Tai-Chi-Übungen auf dem Rasen. Gärtner pflanzen Blumenzwiebeln für den Frühling.
»Wie ist das Essen?«
»Sie wollen mich vergiften.«
»Hast du in letzter Zeit Bridge gespielt?«
»Ein paar von denen schummeln.«
Selbst die Halbtauben können sie gut verstehen.
»Du solltest dich wirklich mehr bemühen, Daj.«
»Warum? Wir warten doch alle nur auf den Tod.«
»So ist es nicht.«
Ich bleibe stehen, um den Kragen ihres Mantels zuzuknöpfen. Kleine spinnenartige Fältchen breiten sich um ihren Mund herum aus, aber ihre Augen sind nicht gealtert. Aus der Distanz sehen wir aus wie Mutter und Sohn, die einen vertraulichen Augenblick teilen. Aus der Nähe bieten wir dieselbe einsilbige, stotternde Tragikomödie wie seit mehr als fünfzig Jahren.
»Kann ich jetzt meinen Umschlag haben?«
»Nach dem Vormittagstee.«
Wir setzen uns in den Speisesaal und lassen das Ritual gestelzter Konversation über uns ergehen, komplett mit Gelee und Sahne. Die Heimleiterin spaziert zwischen den Tischen herum.
»Hallo zusammen! Überaus reizend, Sie zu sehen. Ist es nicht schön, dass Ihr Sohn Sie besuchen kommt, Mrs. Ruiz? Vielleicht haben Sie Lust, sich Mr. Wilsons Vortrag über seine Andentour anzuhören.«
Lieber würde ich mich an den Füßen aufhängen und mit dem Kopf zuerst in ein Fass kalten Haferschleim tunken lassen .
»Yanko war immer das kräftigste Baby«, verkündet Daj mit lauter Stimme. »Ich habe immer beide Hände gebraucht, um ihn von der Flasche loszureißen. Die Brust wollte er nicht.«
»Das interessiert niemanden, Daj.«
»Sein Vater war ein Nazi, müssen Sie wissen«, fährt sie noch lauter fort. »Wie der Vater von Arnold Schwarzenegger.« Ich spüre, wie meine Wangen rot anlaufen. Sie ist jetzt richtig in Fahrt.
»Ich weiß nicht, ob er seinem Vater ähnelt. Es waren so viele. Vielleicht hat sich ihr Sperma in mir vermischt.«
Die Heimleiterin verschluckt sich beinahe und entschuldigt sich eilig. Bevor sie den Raum verlässt, wirft sie mir denselben Blick zu wie meine Lehrer, wenn Daj am Tag der offenen Tür meine Schule besucht hat.
Nachdem der Tee kalt geworden und die Hälfte ihres Scone auf dem Teller liegen geblieben ist, bringe ich Daj zurück in ihr Zimmer und nehme den Umschlag mit. Auf dem Weg nach draußen schaue ich im Büro der Heimleiterin vorbei und schreibe einen Scheck aus.
»Sie müssen Ihre Mutter sehr lieben«, sagt die Sekretärin.
Ich sehe sie ausdruckslos an. »Nein. Sie ist meine Mutter.«
Im Wagen öffne ich den großen wattierten Umschlag. Er enthält Kopien der Originalpostkarte und des Umschlags, zusammen mit den Ergebnissen der DNA-Analyse und der Analysen von Tinte, Briefpapier und Haarproben.
Außerdem finde ich einen weiteren Brief in einer Klarsichthülle. Ich ziehe ihn heraus und entfalte ihn.
Sehr geehrte Mrs. Carlyle,
Ihre Tochter lebt. Das wird auch so bleiben, wenn Sie sich kooperativ verhalten. Ein Fehler, und sie stirbt. Ihr Leben liegt in Ihren Händen.
Wir verlangen hochwertige Diamanten von mindestens einem Karat pro Stück im Gegenwert von zwei Millionen Pfund. Sie werden diese Diamanten auf vier Samtbeutel verteilen. Jeder dieser Beutel muss auf ein 1,6 Zentimeter dickes Styroporquadrat geklebt und doppelt in fluoreszierendes Plastik gewickelt werden. Die Päckchen dürfen maximal 15 Zentimeter lang, 6,3 Zentimeter breit und 1,9 Zentimeter dick sein und sind in einer 50 Zentimeter breiten Pizzaschachtel zu verstauen.
Heute in drei Tagen werden Sie eine Kleinanzeige auf den Reiseseiten der Sunday Times schalten, in der Sie eine Villa in der Toskana
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