Amnion 1: Die wahre Geschichte
stutzte.
Eine Warnung, eine der Alarmfunktionen, die er für den Fall einprogrammiert hatte, daß Morn etwas zu verrichten versuchte, das übers eingeschränkte Schaltspektrum ihrer Konsole hinausging.
Einen Moment lang – nur im ersten Augenblick – blieb es ihm gleich, welcher Art der Alarm sein mochte. Die Unbegreiflichkeit der Situation entgeisterte ihn. Er hatte Morn nie eine Gelegenheit gelassen, irgend etwas anzustellen. Ständig hatte er sie unter Beobachtung gehabt. Als er alle Luken der Strahlenden Schönheit dichtmachte, hatte der Leuchtpunkt nicht geblinkt. Stimmte das? Angus forschte in seinem Gedächtnis. Ja, es stimmte. Da hatte er keinen Alarm bemerkt. Und anschließend dafür gesorgt, daß sie schlief. Wann sollte sie ihn ausgelöst haben können?
Nein. Die Einsicht in die Wahrheit traf ihn härter als der Alarm selbst. Seine Erinnerung trog. Er hatte ihr eine Chance gegeben.
Während er die Inspektoren an Bord ließ, hatte sich Morn allein im Kommandomodul befunden. Und noch einmal, als er die Inspektoren verabschiedete. Und danach hatte er den Kontrollen keinen Blick mehr gewidmet. Die Fragerei der Inspektoren hatte ihn zu sehr geschlaucht gehabt… Zu gründliche Erschöpfung hatte er empfunden…
Zu tiefe Niedergeschlagenheit…
Ach du Scheiße!
Mit einem Ruck wandte er sich der Steuerkonsole zu, tippte Tasten, um den Anlaß des Alarms zu ermitteln.
Die Ursache wich so erheblich von dem ab, was er erwartete, daß er es zuerst nicht glauben konnte. Er dachte, der Computer müßte sich irren. Morn hatte doch sicherlich etwas Schlimmeres als das getan? Wieso sollte sie nicht versuchen, ihn zu töten, sich an ihm zu rächen? Weshalb sollte sie auf Sabotage an der Strahlenden Schönheit verzichten?
Aber selbstverständlich machte der Computer keine Fehler. Er zeigte unmißverständlich an, daß Morn an einer Rumpfluke der Strahlenden Schönheit das Schloß aufgebrochen, die Verriegelung zerstört hatte. Dann mußte sie die Warnautomatik abgetrennt haben, die normalerweise auf unverschlossene Luken hinwies.
Darin erblickte Angus ein geradezu lächerliches Verhalten. Seine Gedanken wirbelten, versuchten den Vorgang zu durchschauen. Unbewußt wischte er sich Blut vom Kinn. Was hatte Morn damit erreicht? Dicht blieb die Luke; das Raumschiff war unverändert gegen das Vakuum abgeschottet.
Aber jetzt…
Man konnte die Luke jetzt von außen öffnen.
Jeder hatte die Möglichkeit, sich mit einem EA-Anzug an Bord zu schleichen.
Jeder im Besitz eines EA-Anzugs hatte sich, während Angus schlief, an Bord schleichen können.
Verfluchte Scheiße!
Er verspürte so große Überraschung und Ratlosigkeit, daß er zunächst nur verkehrte Rückschlüsse zog. Als erstes sah er nach Morn, rechnete halb damit, sie sei längst fort. Aber unter dem Einfluß des Z-Implantats schlief sie noch, wo er sie zurückgelassen hatte. Also aktivierte er die auf Lebenszeichen geeichten Scanner der Strahlenden Schönheit, suchte das gesamte Raumschiff nach versteckten Fremden ab, verborgenen Mördern, Saboteuren.
Doch außer ihnen hielt kein Mensch sich an Bord auf; niemand außer ihm und Morn.
Sie sind geschlagen. Denken Sie daran. Ich habe Sie gewarnt.
Endlich verhalf die Panik Angus zu einem Geistesblitz. Er warf einen Blick in seine geheimen Laderäume.
Vom Fußboden bis unter die Decke standen sie voller Lebensmittel, Geräte und Medikamente.
Auf jeder Kiste und jedem Karton entdeckte er die Kennzeichnung, die sie als Gut der KombiMontan-Station auswies, die Art von Lieferungen, die regelmäßig von der Erde anlangten. Die Art von Fracht, die ein Versorgungsschiff beförderte.
Als er, ins Kommandomodul zurückgekehrt, das Umfeld seines Raumschiffs sichtete, sah er, daß die Käptens Liebchen keine fünfzig Meter entfernt verankert ruhte. Sie mußte eingetroffen sein, während er schlief.
Er saß endgültig in der Falle. Diesmal hatte man ihn erledigt. Er durfte sich als so gut wie tot betrachten.
Die Vollkommenheit der Aktion erfüllte ihn mit Staunen. Kein Wunder, daß Nick sich an Mallorys Eingang so bereitwillig mit ihm angelegt hatte. Nick hatte dort eine Gelegenheit gefunden, vor Morn das Wort ›Luken‹ zu erwähnen. Und mit nichts als diesem dünnen Bindeglied zwischen ihnen hatten sie eine Methode improvisiert, um den Mann zu vernichten, den sie haßten.
Von einem ›dünnen Bindeglied‹ zu sprechen, grenzte schon an Untertreibung. Diese Dürftigkeit begründete Zweifel an seiner Existenz.
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