Amnion 2: Verbotenes Wissen
da konnte sie ihn schon nicht mehr hören.
Mit überflüssiger Vorsicht, da Morn sich in gar keiner Verfassung befand, um irgend etwas wahrzunehmen, stellte der Amnioni sicher, daß sie, während er arbeitete, im Schlaf liegenblieb. Er bettete sie in die Entbindungsapparatur, entkleidete sie mit seinen gewandten sekundären Armen und legte die Bordmontur neben ihr ab.
Er entnahm Morn Blut, befestigte Elektroden an ihrem Schädel sowie den hauptsächlichen Muskelsträngen ihrer Arme und Beine.
Danach wurde ihr ein Alien-Serum injiziert, und ein biologischer Kataklysmus suchte sie heim.
Innerhalb von Minuten schwoll ihr Bauch enorm an. Kurze Zeit später drang zwischen ihren Beinen Wasser hervor; ihr Gebärmutterhals weitete sich; krampfartige Wehen befielen sie.
Genauso behutsam, wie ein menschlicher Arzt es getan hätte, holte der Amnioni ihr Davies Hyland aus dem Leib. Der Arzt band mit der Sanftheit eines empfindsamen Ungeheuers die Nabelschnur ab, durchtrennte sie, säuberte den zappeligen kleinen Knaben – er zappelte, weil er nach für Menschen geeignete Luft rang – und legte ihn schließlich in den zweiten Behälter, setzte dort an den gleichen Stellen wie bei Morn Elektroden an den Körper des Neugeborenen, führte ihm intravenös Schläuche ein und schloß den Deckel. Sofort umgab eine normale Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre das Kind, und die erfrischendere Atmung bewirkte, daß es sich zu gesünderer Rosigkeit verfärbte.
Gleichzeitig erhielt Morn neue Chemikalien injiziert, um ihre Genesung zu beschleunigen. Plasma ersetzte das verlorene Blut; Koagulantia und neural wirksame Beruhigungsmittel optimierten die körperliche Reaktion auf die geschehenen Beeinträchtigungen.
Im zweiten Behälter begann eine Art von biologischem Zeitraffer zu wirken. Eine leistungsstarke Aminoflüssigkeit voller rekombinativer endokriner Sekrete und Hormone nährte jede Zelle in Davies’ kleinem Leib, leitete in Sekundenschnelle DNS-programmierte Entwicklungen ein, deren Verlauf sonst Monate beansprucht hätte; deckte einen gewaltigen Bedarf an Nährstoffen und Kalorien; ermöglichte es seinem Gewebe, Wachstum und Ausscheidung mit einer ebenso unsagbar drastischen wie grotesken Effizienz zu bewältigen, die so wundersam vital und strapazenreich zu verlaufen schien wie eine Krebserkrankung.
Unter der minimalen Verzerrung, die der transparente Deckel des Behälters bedingte, verlängerte sich seine Gestalt, gewann an Gewicht und Muskulatur; seine Gesichtszüge unterzogen sich mehrmaligen Wandlungen, während sie sich Babyspeck zulegten und es bald darauf dahinschmolz, das verborgene Knochengerüst sich festigte; sein Haar sowie die Zehen- und Fingernägel wucherten unwahrscheinlich in die Länge, bis der Arzt sie schnitt. Zur gleichen Zeit kopierten die Elektroden Morns Leben und reproduzierten es in Davies: alle die nervlichen Engramme, die Muskeltonus, Körpersteuerung, Handfertigkeit und ähnliches möglich machten; die Erfahrungen, die Sprache, Verstand und Realitätseinbindung verliehen; das Gemisch endokriner Stimulation und Erinnerungen, das die menschliche Persönlichkeit bildete, ihr Entscheidungen erlaubten.
Wie Nick es versprochen hatte, vollzog der Prozeß sich binnen nur einer Stunde.
Im Effekt hatte Morn einen sechzehnjährigen Sohn geboren.
ERGÄNZENDE DOKUMENTATION
DIE AMNION
Erstkontakt
(Fortsetzung)
Das Gegenargument – daß der ›Erstkontakt‹ schon Jahre vorher stattgefunden hätte – bezog seine Rechtfertigung aus dem Umstand, daß Kapitän Vertigus über die Amnion nichts Neues (mit Ausnahme ihrer äußeren Erscheinung) oder Hochbedeutsames erfuhr. Daß sie entwickelte technische Fähigkeiten hatten – vor allem auf dem Gebiet der Biochemie –, auf Sauerstoff-Kohlenstoff-Basis existierten, sich gründlich von Menschen unterschieden: All das war schon aus dem Inhalt des Satelliten gefolgert worden, den das Intertech-Explorationsraumschiff Fernpilger im Orbit um den größten Planeten des Sternensystems entdeckte, zu dessen Erforschung man es ausgesandt hatte.
Es machte diesen Fund vor dem sogenannten Aufstand der Menschheit und dem Aufkauf der Intertech durch die Astro-Montan AG. Bei Entdeckung des Satelliten erforschte die Fernpilger das erwähnte Sternensystem seit fast einem Standardjahr. Danach führte sie die Forschungen noch mehrere Monate lang weiter, aber mit radikal veränderter Zielrichtung. Zunächst war natürlich nach allem und jedem gesucht worden,
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