Amnion 2: Verbotenes Wissen
irgendwelche Tasten drückst, unterbrichst du sie.« Und Nick wird es bemerken, oder Liete.
»Morn?« fragte er zurück. »Bist du es?«
Die Stimme ihres Sohnes: Sie hätte genau wie die seines Vaters geklungen, wäre sein Vater jünger und weniger wirksam gegen die eigene Furcht gewappnet gewesen.
»Wo bist du? Was ist los? Weshalb macht er das mit mir? Warum haßt er mich? Morn, was hab ich getan? Was bin ich?«
Mein Sohn. »Davies, hör zu!« Trotz seiner Aufgebrachtheit versuchte sie schnellstens zur Sache zu kommen. »Ich will deine Fragen ja beantworten. Ich möchte dir alles erzählen. Aber ich weiß nicht, wie lange wir Zeit haben. Falls niemand darauf stößt, was ich mit der Interkom angestellt habe, bleibt uns viel Zeit. Wir können aber von jedem, der sie zufällig checkt, ertappt werden. Also müssen wir den Kontakt gut nutzen. Hast du Schwierigkeiten beim Erinnern?«
Sie hörte seine Atemzüge, als ob er den Mund an den Interkom-Apparat preßte. »Ja«, bestätigte er schließlich, nach ausgedehntem Schweigen, wie ein kleiner Junge. »Ich habe nicht mal ’ne Ahnung, wer ich bin«, fügte er dann aufgeregter hinzu. »Wie kann ich mich richtig erinnern?«
Geduld, ermahnte sich Morn. Ich darf ihn zu nichts drängen. »Was für Schwierigkeiten?«
»Es geht einfach nicht weiter.« Die Übertragung verlieh seiner Stimme eine gewisse Tonlosigkeit: Er hätte ebensogut Zorn wie Trauer empfinden können. »Ich bin ein Mädchen. Daran erinnere ich mich, Morn. Mein Zuhause ist auf der Erde. Ich habe eine Mutter und einen Vater, genau wie jeder andere. Ihr Name ist Bryony, seiner Davies… Ich meine nicht mich, sondern meinen Vater. Beide sind Polizisten… Aber sie ist vor zehn Jahren ums Leben gekommen, ihr Raumschiff ist beim Gefecht mit einem Illegalen, der dank großen Glücks fliehen konnte, schwer beschädigt, fast zerstört worden. Ich bin selbst Polizistin, die Polizeiakademie habe ich absolviert, ich bin aufs Schiff meines Vaters abkommandiert worden. Das alles macht ja überhaupt keinen Sinn!«
»Ich weiß.« Um ihn zu trösten, unterdrückte Morn ihr Gefühl der Eile. »Ich kann dir alles erklären, aber ich muß wissen, wo es endet. Was ist das letzte, an das du dich entsinnst?«
Vielleicht konnte er sie nicht mehr hören. »Wenn ich an dich denke«, raunte er – seine Stimme krächzte, als ob zwischen ihnen die Entfernung zu Lichtjahren anwüchse –, »an dich als an jemand anderen als ich, meine ich, fühle ich mich jedesmal, als würde ich vergewaltigt.«
»Bitte…« Ein plötzlicher Weinkrampf schnürte ihr die Kehle ein. Sie mußte mühsam schlucken, bevor sie neue Worte hinauszupressen vermochte. »Ich möchte dir helfen, kann’s aber nicht, wenn ich nicht weiß, wo mit deiner Erinnerung Schluß ist.«
Davies bewahrte für lange Zeit Schweigen – so lange, daß das Warten Morn beinahe das Herz brach. Doch endlich gab er Antwort.
»Das Raumschiff war die Stellar Regent«, sagte er über die Kluft hinweg. »Ein VMKP-Zerstörer. Wir operierten aber verdeckt, als Erzfrachter getarnt. Wir hatten gerade die KombiMontan-Station mit Kurs auf den Asteroidengürtel verlassen, da orteten wir ein Raumschiff mit dem Namen Strahlende Schönheit. Vor diesem Schiff hatten wir Warnungen erhalten.
Der Kapitän hieß Angus Thermopyle…« Beim Nennen des Namens stockte er, als verstünde er nicht, wieso er ihn so gut kannte. »Uns lagen Berichte vor, denen zufolge er einer der übelsten Raumpiraten sein sollte, jedoch ohne daß Beweise vorhanden gewesen wären. Wir konnten beobachten« – Davies’ Stimme verriet, daß es ihn schauderte –, »wie er das Camp einer harmlosen Wühlknappschaft verbrannte, also haben wir die Verfolgung aufgenommen. Ich befand mich auf Gefechtsstation in der Hilfssteuerwarte. Wir flogen der Strahlenden Schönheit nach. Das ist das letzte, woran ich mich erinnere.«
Während sie ihm zuhörte, wußte Morn nicht, ob sie Erleichterung oder Mitleid empfinden sollte. Seine Erinnerungen endeten in dem Moment, als sie zum erstenmal das Hyperspatium-Syndrom befallen hatte. Vorerst zumindest war ihm all das Furchtbare, das sie erlebt hatte, erspart geblieben. Wahrscheinlich aufgrund dieses Umstands war er noch genug bei Verstand, um sich mit ihr unterhalten zu können.
Wenn es ihr gelang, ihm Beistand zu leisten, ehe die späteren Erinnerungen zurückkehrten, machte sie es ihm vielleicht möglich, sie zu bewältigen.
Trotz allem stand sie jetzt, was die Erklärungen betraf,
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