Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
getroffenen Festlegungen sollten herbe Konsequenzen haben.
»Verraten Sie mir mal eines, Thermopyle«, nuschelte Taverner um seine Nik. »Woher wollen Sie wissen, daß der Kassierer nicht jetzt schon ’ne Kopie unseres Gesprächs durchliest?«
Dazu hätte Angus lieber geschwiegen; doch sein Data-Nukleus konstatierte keine Veranlassung, um die Frage unbeantwortet zu lassen. »Die Frau an dem Tisch ist die einzige Melderin in dieser Hälfte des Lokals«, gab er Auskunft. »Im Moment ist sie außer Hörweite. Und den Observationsgeräten habe ich die Stromleitung gekappt. An der Stelle, wo wir uns aufhalten, ist der Kassierer gegenwärtig blind.«
Sofort beugte Milos Taverner sich vor. In seinen Augen steigerte sich dumpfes Schmollen zu wilder Entschlossenheit, wie aus Glutasche Feuer sprang. »In dem Fall, Josua«, sagte er, ohne die Nik aus dem Mund zu nehmen, »habe ich Anweisungen für Sie. Jericho-Priorität. Unterlassen Sie Ihr Vorhaben. Brechen Sie den Umgang mit Nick Succorso ab. Denken Sie nicht mehr an Morn Hyland. Wir sind zu einem völlig anderen Zweck hier. Sie bringen mich grundlos in Gefahr.«
Als Taverner das Wort ›Josua‹ aussprach, ergriffen automatische Befehlsfunktionen von Angus Besitz. Wider Willen passiv, saß er reglos da, während die Computerkomponente seines Schädels sich auf den Empfang und die Ausführung von Taverners Anweisungen einstellte. Bei Erwähnung der Jericho-Priorität schien Angus’ Gehirn stillgelegt zu werden: Zonenimplantate und Programme kontrollierten jede neurale Zuckung und jede Muskelkontraktion. Unterdessen registrierte der Interncomputer Taverners Weisungen und verglich sie mit den vorprogrammierten Maßgaben. Ein- oder zweimal pochte Angus’ Herz, und seine Lungen nahmen einen flachen Atemzug, aber er blieb innerlich leer, handlungsunfähig, ähnlich wie ein Computer ohne Betriebssystem. In diesem kurzen Intervall hätte Taverner, wäre ihm bewußt gewesen, was sich in dem Cyborg abspielte, Angus töten können, wäre er an seinem Tod interessiert gewesen.
An dem Tisch, wo die Melderin und ihre beiden Begleiter hockten, hatte Nick Succorso mittlerweile so Platz genommen, daß die Frau Taverner und Angus den Rücken zeigte. Succorsos Augen leuchteten die Frau an; er lächelte wie ein Barrakuda. Während er auf sie einschwatzte, beugte er sich sich stets dichter zu ihr; er überrumpelte sie mit seiner sexuellen Ausstrahlung.
Milos Taverner versäumte die Gelegenheit. Der kritische Moment verstrich. Ganz plötzlich, ohne Vorankündigung, machte Angus ihm eine Mitteilung.
»Es folgt eine Nachricht von Warden Dios an Milos Taverner.« Angus’ Stimme schien direkt aus dem Data-Nukleus auf seine Lippen zu dringen. »›Taverner, diese Erklärung ist vor Ihrem Abflug vom VMKP-HQ aufgezeichnet worden. Sie haben soeben einen ziemlich bösen Schrecken erlitten. Ich bedaure diesen Vorfall, aber er ließ sich nicht vermeiden. In dieser einen Hinsicht sind Sie getäuscht worden. Alles andere, was wir Ihnen über Josua, Ihren gemeinsamen Auftrag und in bezug auf Sie selbst gesagt haben, ist und bleibt die Wahrheit. Josua ist nicht von seiner Programmierung abgewichen. Ihre Kommandocodes sind unverändert gültig. Wir haben Sie nicht hintergangen. Wenn Sie ins VMKP-HQ zurückkehren, werde ich Ihnen persönlich begründen, weshalb es nötig war, Sie in dieser einen Beziehung irrezuführen.‹ Ende der Mitteilung.«
Im selben Augenblick normalisierte sich Angus’ psychischer Zustand.
»O nein, wie dumm«, spottete er, indem er vor Erleichterung vor sich hinfeixte. »Vielleicht haben Sie das nächste Mal mehr Glück. Wahrscheinlich zahlt es sich ganz einfach nicht aus, diesen Drecksäcken zu trauen.« Als wäre nichts Unerwartetes geschehen, deutete er mit einer flüchtigen Handbewegung hinüber zu Nick Succorso. »Es wird nicht lange dauern. Gegen ’n verführerischen Schleimer wie ihn hat die Ische keine Chance. Bereiten Sie sich mal lieber darauf vor, daß wir in ’n paar Minuten gehen.«
Ganz schön clever, Dios, dachte er. Schlau eingefädelt. Leider wird es nicht klappen. Es ist zu spät. Auf Taverner kannst du nicht mehr bauen. Was für einen Plan hast du da nur ausgeheckt?
Der alleinige Sinn im Zugeben einer Lüge – das einzige Motiv, das Dios fürs Eingestehen seiner Lüge haben konnte – mußte das Verschleiern anderer, bedeutsamerer Unwahrheiten sein.
»Ach du Scheiße«, wimmerte Taverner wie im Schock. »Ach du Scheiße… Er hat mich
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