Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
das Papier auf den Schreibtisch.
»Ich möchte, daß Sie eine Gesetzesvorlage mit dem Ziel präsentieren, den Vereinigten Montan-Kombinaten die polizeilichen Hoheitsrechte zu entziehen, die VMKP insgesamt aufzulösen und als Polizeitruppe des Erd- und Kosmos-Regierungskonzils neuzugründen.«
Damit verstummte sie und wartete auf Kapitän Vertigus’ Reaktion.
Er saß so still da, als hätte er das Atmen eingestellt.
Unverwandt musterte Min Donner ihn. Aufgrund der Blässe seiner Augen konnte sie sich nicht einmal sicher sein, daß er sie wirklich sah.
Nach ausgedehnterem Schweigen hauchte er einen zittrigen Seufzer. »Direktorin Donner, Sie denken in großen Maßstäben.«
Darauf erübrigte sich eine Entgegnung; also sagte Min kein Wort.
Vertigus’ Blick fiel auf das Papier, das sie ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. Mit den Fingerkuppen berührte er die Blätter mit solcher Vorsicht, als wären ihre Kanten scharf genug, um ihm die Haut aufzuschneiden. »Und wann soll das eingereicht werden? Morgen früh?«
»Wenn’s geht.«
»Oh, natürlich. Freilich. Eine Gesetzesvorlage von dieser ungeheuren Tragweite, mit so einem Knalleffekt… Kann ich in meiner Freizeit sonst noch irgend etwas für Sie tun? Einen Roman schreiben? Die amnionische Handelsdelegation massakrieren? Wahrhaftig, Direktorin Donner, ich glaube, ich muß mir eine Sauerstoffmaske ordern. Ihre Ideen rauben diesem Zimmer die Luft.«
»Wenn Sie einen Blick in die Unterlagen werfen«, antwortete Min unter Aufbietung ihrer eigenen Herbheit, »sehen Sie, daß ich den Entwurf größtenteils schon formuliert habe. Naturgemäß mußte ich von einigen provisorischen Voraussetzungen ausgehen, was beispielsweise die Finanzierung der neuen EKRKP oder die Übertragung der Polizeigewalt betrifft, die Sie möglicherweise als verkehrt einstufen. Aber Sie können den Text umarbeiten, wie Sie wollen, um ihn in die passendste Form zu bringen. In bezug auf die Einzelheiten bin ich nicht kleinlich. Für mich zählt nur die Hauptsache.«
Kapitän Vertigus sparte sich die Umstände, so zu tun, als schaute er ihren Entwurf durch. »Ich glaube Ihnen aufs Wort«, versicherte er leise. »Wie ich schon sagte, Dios’ Leute sind immer gut vorbereitet. Wenn ich das berücksichtige, dürften die Annahmen, von denen Sie ausgegangen sind, wohl so falsch nicht sein. Wahrscheinlich könnte ich also durchaus morgen früh mit einer tauglichen Gesetzesvorlage – ich meine, einer von mir aufbereiteten Vorlage – vors Konzil treten. Aber das ist nicht die entscheidende Frage, oder?«
Seine Stimme nahm einen etwas schärferen Tonfall an. »Uns fehlt beiden die Zeit, um uns mit Details herumzuärgern. Darum kommen wir nun zur Sache, ja? Verraten Sie mir das Warum. Weshalb diese Vorlage?« Er raschelte mit den Blättern. »Wieso gerade jetzt? Und warum soll ich dafür herhalten?«
Min widerstand dem Drang, aufzustehen und auf- und abzustapfen. »Weil es getan werden muß«, entgegnete sie. »Weil der richtige Zeitpunkt da ist. Und weil der Drache Sie nicht am Gängelband hat.«
Die fahlen Augen des Kapitäns behielten sie im Blick. »Reden Sie nicht so rätselhaft daher. Ich brauche echte Antworten.«
Min hob die Schultern. »Wie Sie wünschen. Aber ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen über die Videokonferenz zu sprechen. Sie waren anwesend und haben selbst alles gesehen und gehört. Unglücklicherweise ist Morn Hyland eine meiner Mitarbeiterinnen. Wenn ich nur daran denke, wie sie mißbraucht wird, packt mich eiskalter Zorn. Und ich will nicht, daß das Mißverständnis entsteht, ich sei hier, nur weil ein einzelner Vorfall bei mir Empörung auslöst. Was Sie bei der Videokonferenz erlebt haben, war für meine Absichten nicht ausschlaggebend. Mein Entschluß stand schon vorher fest. Sie ersehen es daran, daß ich Sie vor der Konferenz angerufen habe. Deshalb erlauben Sie mir, Ihnen meine eigentlichen Beweggründe darzulegen. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, daß vor einigen Jahren das Gerücht kursierte, Intertech wäre kurz vor dem Durchbruch zur Entwicklung eines gegen Amnion-Mutagene wirksamen Immunitätsserums. Und daß sich später herumsprach, die Forschungen seien als mißlungen eingestellt worden.«
Kapitän Vertigus reagierte nicht; er nickte nicht einmal.
»Nun ja, an dem Gerücht war etwas Wahres. Intertech stand wirklich davor, war sogar dicht dran. Aber die Forschungen sind nicht mißlungen. Sie sind nicht ›eingestellt‹ worden. Man hat sie
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