Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
geschützte Zimmer zu entrichten, sei es, weil er sich sorgte, seine Crew nicht wieder zusammensuchen zu können, ließ er sie sich nach ihrem eigenen Gutdünken umhertreiben, oder weil sie Laster hatte, von denen niemand erfahren sollte. Sämtliche übrigen Menschen hingegen, die nach Thanatos Minor kamen, blieben an Bord ihrer Raumschiffe oder quartierten sich in den Etablissements des Vergnügungsviertels ein, wo sie ihre Gelüste befriedigen konnten, so pervers sie auch sein mochten.
Es erstreckte sich über mehrere mittlere Etagen der Station. In den oberen, näher an der Planetoidenoberfläche eingerichteten Geschossen befanden sich die verschiedenen Werkstätten und Lager, die die Bedürfnisse der Reede, der Werftanlagen und der hermetisch abgesonderten Amnion-Sektion erfüllten; ganz unten lagen das Panzergewölbe des Kassierers, seine Chirurgie sowie Kassaforts Energiezentrum. Zwischen Planetoidenkern und -oberfläche wohnten, zechten, arbeiteten, futterten, betrogen, vögelten, vergewaltigten, kuppelten und zankten die Menschen, die für Kassaforts persönlichere Offerten sorgten, und ebenso die Leute, die daran Genuß fanden.
Vielleicht infolge der Enge der Korridore, die die Bewohner ›Straßen‹ nannten, oder wegen der Millionen Tonnen des Felsgesteins, die sie über den Köpfen hatten, schien das Vergnügungsviertel immer dichtgedrängt gefüllt zu sein. Kassaforts Einwohnerschaft sollte um die fünftausend Personen betragen; doch das Vergnügungsviertel erregte den Eindruck, daß sich hier ständig doppelt so viele Frauen und Männer aufhielten. Natürlich stammte eine gewisse Anzahl von den rings um die Station geparkten Raumschiffen. Den Rest hatte man bei inkorrekten Schätzungen wohl übersehen.
Nachdem man die anfänglichen Schwälle von Gerüchen und Lichtern verkraftet, einen ersten Blick in die überfüllten Straßen, Bars und sonstigen Lokalitäten getan hatte, fiel als bemerkenswertester Aspekt die Gegenwart überproportional vieler Frauen auf; normalerweise machten Frauen sich in sogenannten Hotel- und Restaurationssektionen des Human-Kosmos rar. In Stationen wohnhafte Frauen hatten im allgemeinen dort Arbeit oder Familie, also wenig Grund, um sich unter Durchreisende zu mischen. Und durchreisende Frauen – Besatzungsmitglieder oder Passagierinnen der Raumschiffe – besuchten Hotel- und Restaurationssektionen um der Angebote willen, nicht um sich selbst anzubieten.
In Kassaforts Vergnügungsviertel dagegen…
Um so zahlreiche Frauen zusammenholen zu können, mußte der Kassierer den gesamten Human-Kosmos durchkämmt haben. Aus den Gossen der Erde und den verkommensten Winkeln der Weltraumstationen, aus anderen Schwarzwerften und aus Raumschiffen voller Verzweifelter mußte er sie zu Hunderten durch Lug und Trug, Beschwatzen oder schlichten Einkauf für Kassafort gewonnen haben. Je nachdem, wie man sie betrachtete, galten sie als Pracht oder Abschaum des Vergnügungsviertels: teils Frauen, denen behagte, was sie taten, was sie dafür rafften, bis sie reich waren; teils Frauen, die unter Abhängigkeit von Nervensprit oder sonstigen Drogen standen und sich kaum das nackte Leben bewahrten; Frauen mit chirurgischen, entweder bioretributiven oder anderen Modifikationen, die keine Wahl hatten. Kein raumfahrender Illegaler, der Kassafort aufsuchte, konnte ehrlichen Gewissens behaupten, schon eine solche Auswahl unter Schönheit und Elend gehabt zu haben.
Bei besonderen Anlässen hatte auch Angus hier die eine oder andere Frau zu Lustzwecken benutzt. Doch das war gewesen, bevor er Morn kannte; ehe er sie so tief entwürdigt hatte, wie sein Haß und seine beachtliche Phantasie es gestatteten; bevor sie ihm mit der Zeit das Herz gebrochen hatte.
Jetzt schnupperte er Kassaforts Luft, badete im Licht und begaffte die Frauen, als wäre er endlich wieder in seinem natürlichen Element. Aber weder er noch sein Interncomputer hatten irgendein Interesse am Zeitvertreib mit Frauen.
Milos Taverner schielte mit Schmollmund und gefurchter Stirn umher, als wären ihm die meisten Frauen – wäre es vielleicht sogar der Geschlechtsverkehr überhaupt – irgendwie zuwider.
Angus fand jedoch keine Gelegenheit, um sich über das Unbehagen seines Begleiters zu amüsieren. Er hatte andersartige Prioritäten.
Die Innenatmosphäre, die ihn nach Verlassen des Lifts empfangen hatte, war genauso, wie er sie in Erinnerung hatte: zu warm, ungenügend gereinigt, stickig durch ein Miefgemisch aus Rauch, Parfüm,
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