Amnion 4: Chaos und Ordnung
unauffindbar blieben, gar nicht zu reden von den eingearbeiteten Chips. Allerdings weiß Friks Sekretärin mehr, als sie zu wissen glaubt.«
Sobald sie in voller Fahrt war, klang Lanes Tonfall weniger abweisend; oder vielleicht lediglich weniger spröde. »Man brauchte ihr nur die richtigen Fragen zu stellen, dann erfuhr man, daß der Kaze, nachdem sie ihn ihrer ›Routineüberprüfung‹ unterzogen hatte« – Lane sprach die letzten Worte aus, als wären sie nicht einmal der Geringschätzung würdig –, »sich die Id-Plakette nicht zurück um den Hals gehängt und den Dienstausweis nicht wieder an die Brusttasche gesteckt hat, obwohl das hier so normal ist, daß es niemandem mehr auffällt, ich tu’s ja selbst.« Sie senkte den Blick auf ihren an den Laborkittel geklebten DA-Dienstausweis. »Sie sind der einzige, der ohne auskommt. Aber er hat etwas anderes getan. Nach der Aussage, die Friks Sekretärin gemacht hat, sind die Sachen von ihm in die Beintasche, die rechte Beintasche, gesteckt worden. So verhält man sich nicht, wenn man Beweise hinterlassen will, bevor man sich in die Luft sprengt, weil die Bombe auf alle Fälle nur Matsch, Brocken und Kleinstüberreste hinterläßt. So etwas unterläuft jemandem, der in alldem neu ist, der weiß, daß er sterben wird, und dem es nicht zur zweiten Natur geworden ist, sich in Sicherheitsbereichen normal zu benehmen. Also waren die Id-Plakette und der Dienstausweis ein Stückchen weiter vom Explosionsherd entfernt, als sie es sonst gewesen wären. Und darum habe ich einen Teil eines Chips finden können.«
Durch ein Zwinkern bekundete Hashi, ohne sie zu unterbrechen, Anerkennung und Interesse. »Sie wissen, wie wir diese Art von Untersuchung durchführen.« Kaum hatte sie die erste Nik zu Ende geraucht, zündete sie eine zweite an. »Der betroffene Raum wird vakuumdicht verschlossen, dann tastet man sie mit einem Resonanzlaser ab. Um das Verfahren zu vereinfachen, zeichnet man die Resonanz auf und generiert eine Computersimulation. Beim Vermessen der Expansionsvektoren zeigt sich, wo die Kaze-Überbleibsel am wahrscheinlichsten aufzufinden sind. Diese Zonen werden per Fluorchromatografie Mikron für Mikron genau abgesucht. Wenn man diesen Mikrobereich erforscht, leuchtet selbst das winzigste Bruchstück eines KMOS-SAD-Chips wie ein Stern.«
Tatsächlich wußte Hashi über all das längst Bescheid; dennoch ließ er Lane reden. Sie zerstreute ihn in der nettesten Art und Weise.
»Wie erwähnt, ich habe ein Fetzlein gefunden. Eigentlich zwei, aber eines hatte sich so wuchtig in den Fußboden gebohrt, daß es zerbröckelte, als ich es herauszuholen versuchte. Mit dieser Art molekularen Pulvers kann nicht einmal ich noch etwas anfangen. Deshalb liegt uns jetzt nur ein Bruchstückchen vor. Bisher weiß ich wenig darüber. Wir dürfen davon ausgehen, daß es noch intakte Daten enthält, eben dafür ist diese Sorte Chips ja gut, nur ist mir bislang keine Methode eingefallen, um Zugriff zu erhalten. KMOS-SAD-Chips werden aktiv durchs Unterstromsetzen von Zu- und Ableitung. Das Lesen erfolgt durch Umkehrung der Stromfließrichtung. Für diesen Zweck muß man allerdings erst einmal beides haben. Leider fehlen diesem Fetzchen Chip diese nützlichen Vorzüge.«
Noch eine Nik.
»Aber eines kann ich Ihnen verläßlich sagen. Es war einer von unseren Chips.«
Sowohl ihr Auftreten wie auch ihre Erklärung faszinierten Hashi. »Woher wissen Sie das?« fragte er.
»Durch die speziellen Produkteigenschaften. Außer uns darf niemand solche Chips fabrizieren, das ist eine Bestimmung des Data-Nukleus-Gesetzes. Selbstverständlich stellen wir sie nicht wirklich selbst her, das Gesetz ermächtigt uns lediglich, für die Fabrikation Lizenzen zu vergeben, aber de facto haben wir nur eine Lizenz erteilt, nämlich dem Anodynum-Systemewerk« – sie brauchte nicht erst darauf hinzuweisen, daß das Anodynum-Systemewerk nichts anderes war als eine Tochterfirma der Vereinigten Montan-Kombinate und sich vollständig in deren Besitz befand –, »und es beliefert allein uns. In Wahrheit arbeitet sogar jeder beim Anodynum-Systemewerk ausschließlich für uns. Die ganze Firma ist nur Fassade, ein Mittel für die VMK, um bei dem mitzumischen, was wir tun, und für uns, um an KMOS-SAD-Chips zu gelangen, ohne von unserem Etat Gelder für eine eigene Chipherstellung abzweigen zu müssen. Für KMOS-SAD-Chips existiert nur eine Fabrikationsmethode. Theoretisch müßten sie allesamt gleich sein, egal
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