Amnion 4: Chaos und Ordnung
gleichfalls unter den Bann der vorgeblichen Unbesiegbarkeit Nicks geraten gewesen. Warum hatte er sich von ihm abgewandt? Seit ich mich ihm angeschlossen habe, hatte Sib in der Kabine, ehe er Morn freiließ, zu ihr gesagt, ist von uns viel Scheußliches begangen worden. Mir kommen davon solche Alpträume, daß ich aus ’m Schlaf hochschrecke und schreie. Morn erinnerte sich an die Miene des Abscheus, die sie ihm damals, während er ihr half, angesehen hatte. Aber so was war noch nie da. Einen Menschen hatten wir den Amnion noch nicht verkauft. Ich habe sie gesehen, Morn. Diese Mutagene sind ein Greuel.
Was hatte er gesehen?
In der Hoffnung, daß er sich gesprächsbereit zeigte, versuchte sie eine Unterhaltung anzuknüpfen. »Wo stecken denn die anderen alle?«
Offenbar hatte Sib nichts gegen ein Gespräch. Es bot ihm für seine Angespanntheit ein Ventil. »Nick ist in seiner Kabine. Vermutlich pennt er. Oder vielleicht hockt er nur rum und grinst die Wand an.« Diese Vorstellung verursachte ihm ein Schaudern, doch er rang merklich um Beherrschung. »Er kann nirgends hin, ohne daß er an der Kombüse vorbeikommt, darum dachte ich, ich leiste es mir, was zu mampfen.«
Für einen Moment schwieg er, als verkörperte Nick das einzig relevante Problem. Erst als Morn und Davies ihn anschauten, ergänzte er seine Antwort. »Vector sitzt noch an der Arbeit. Er schuftet, als hätte er vergessen, daß auch Techniker ab und zu mal Schlaf und Essen brauchen. Manchmal ist mir gar nicht mehr bewußt, daß er bei Gravo-Belastung starke Schmerzen in den Gelenken hat. Bei Schwerelosigkeit scheint er viel mehr Kräfte zu haben. Mikka und Ciro sind in ihrer Kabine, glaube ich.« Anklänge der Bänglichkeit verliehen seinem Tonfall ungewohnte Schärfe. »Seit Angus Mikka von der Brücke gewiesen hat, habe ich sie nicht mehr gesehen.«
Stirnrunzelnd trank Davies einen Schluck aus der Antigrav-Flasche und räusperte sich. »Wir würden gerne mal, was Angus betrifft«, sagte er unvermittelt, »noch diese oder jene Theorie hören.« Er zeigte auf Morn. »Was glauben Sie, was in ihn gefahren ist?«
Ratlos hob Sib die Schultern. Anscheinend war er, seit Nick ihn zum Datensysteme-Hauptoperator der Käptens Liebchen befördert gehabt hatte, stets in einer Gemütsverfassung der Ratlosigkeit gewesen. Trotzdem bemühte er sich, eine überzeugende Antwort zu geben.
»Er und Nick sind geborene Todfeinde. Sie hassen sich. Aber die Art und Weise, wie sie sich hassen…« Seine Stimme verklang, als machten die eigenen Einsichten sie betroffen. Dann jedoch sprach er seine Einschätzung aus. »Sie wären lieber Verbündete, als jeder auf einer anderen Seite zu stehen.«
Morn schüttelte den Kopf. Sie hatte von Angus Thermopyle das Gefühl, daß in ihm völlig undifferenzierter Haß schwelte, ein allgemeiner und allesumfassender Haß, der zwischen Illegalen und Polizisten keinen Unterschied machte, sondern schlicht und einfach jeden traf, der zufällig in Thermopyles Quere geriet. Auf keinen Fall konnte sie sich irgendeine Situation vorstellen, in der er außer acht ließe – von Vergeben gar nicht zu reden –, daß Nick ihn hereingelegt, ihn in die Knie gezwungen hatte.
Indessen gab es auch noch andere Umstände zu berücksichtigen…
Wie war es dahin gekommen, daß Angus sich hier an Bord eines VMKP-Raumschiffs aufhielt, zudem in der Gesellschaft von Leuten, die er weder benötigte noch leiden mochte? Und weshalb hatte er sich auf den Vorschlag eingelassen, ein Schwarzlabor anzufliegen? Weil er tatsächlich, wie er behauptete – oder wenigstens angedeutet hatte –, einen Handel mit Hashi Lebwohl eingegangen war: den Auftrag übernommen hatte, eine verdeckte Operation gegen Kassafort durchzuführen, um als Gegenleistung am Leben bleiben zu dürfen? Und um Morn zu retten? Und ebenso Nick, falls sich die Gelegenheit ergab?
Nick arbeitete gelegentlich als Agent für die DA-Abteilung: auch er war schon für Lebwohl tätig gewesen. Hatte Angus weitergehende Befehle erhalten, die er nicht nannte, Befehle einer Art, die ihn zwangen, mit Nick zu paktieren, um einen weiteren Bestandteil der mit Lebwohl getroffenen Vereinbarung einzuhalten?
Ohne Übergang schien es in der Kombüse ungemütlich warm zu werden, als ob die Herde sich überhitzten. Morn spürte, daß ihr Schweiß über den Rücken rann; sie an den Rippen kitzelte wie Läuse.
»Wir sitzen in der Tinte.« Sie merkte kaum, daß sie laut dachte. »Wir stecken tief in
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