Amnion 4: Chaos und Ordnung
sehen noch hören konnten. »Dr. Shaheed ist fertig«, teilte er anschließend mit. »Er und Kapitän Succorso verlassen gerade Labor einunddreißig. Kapitän Succorso will sich mit Ihnen treffen, wo Lumpi ist, also in der Rezeption. Und er hat vor, eine Unterredung mit Dr. Beckmann zu führen.«
Sib rieb sich mit den Händen das Gesicht. »Ich fühle mich zu nichts fähig«, gestand er mit gedämpfter Stimme. »Vor zwei Stunden war mir noch, als wäre alles ’n Kinderspiel. Aber jetzt nicht mehr.«
Mikka hörte nicht zu. Ihr wummerte das Herz in der Brust. »Dann gehen wir«, wandte sie sich an Vestele.
Der Werkschutzmann betrachtete sie aus schmalen Augen; danach Sib. Im nächsten Moment schob er die Impacter-Pistole ins Halfter.
»Da entlang.« Er deutete den Korridor hinab.
Getrieben von Panik, stürzte Mikka aus der Kammer, so schnell es möglich war, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Flugs folgte ihr Sib, ihm schloß sich – ebenso rasch – Vestele an. Vor der ersten Abzweigung ließ Mikka den Werkschützer die Führung übernehmen. Sie versuchte ihren Pulsschlag zu beruhigen – vielleicht sogar ihre Furcht zu meistern –, indem sie sich darauf konzentrierte, sich seinen Schritten anzupassen, mit denen er sie und Sib durch die labyrinthischen Anlagen des Schwarzlabors geleitete.
Wenig später lauschte er ein weiteres Mal auf sein Radioimplantat, erhielt neue Weisungen. An der Einmündung zu einem großen Korridor, bei dem es sich anscheinend um eine der Hauptverkehrsadern des Asteroideninneren handelte, blieb er stehen, forderte Mikka und Sib mit einer Geste auf, gleichfalls anzuhalten. »Hier warten wir.«
Mikka konnte sich nicht beherrschen. »Auf was?«
»Mikka«, tuschelte Sib, um sie zur Ruhe zu ermahnen. Vestele sparte sich eine Erwiderung. Vielmehr zeigte er in den Hauptkorridor.
Gerade waren Nick und Vector aufgetaucht. Der Mann, den Dr. Beckmann mit ›Sven‹ angeredet hatte, und zwei Werkschutzleute begleiteten sie. Doch dem Laborpersonal schenkte Mikka keine Beachtung. Während sich die Gruppe näherte, starrte sie Nick und Vector entgegen, als könnte sie ihnen die Antworten, die sie brauchte, von den Gesichtern ablesen.
Beide strotzten offenkundig vor Genugtuung und Triumph.
Damit jedoch endete die Ähnlichkeit der beiden. Vectors Lächeln und seine gutmütigen, blauen Augen verstrahlten einen erhabenen Glanz, als hätte das Wasser eines Sakraments ihn reingewaschen. Er schritt schwungvoll aus, als verursachten seine Gelenke ihm keine Beschwerden mehr, und bewegte die Lippen, als sänge er vor sich hin.
Nick dagegen…
Sein Triumphgefühl bezeugte Blutdurst und Bösartigkeit; nichts als Bedrohlichkeit. Seine Narben traten schroff wie fette Ausrufezeichen hervor, wirkten dermaßen geschwollen durch boshafte Erregtheit, daß es schien, als pochten und zuckten sie; und sein Grinsen glich einem Ausdruck der vollkommenen Liebe eines Sadisten zu seinen Opfern.
Die Antworten, die der Anblick der beiden Mikka gab, waren eindeutig: sie konnte sie gar nicht mißverstehen. Er hatte Ciro ins Unglück geschickt wie ein Opferlamm. Und Sorus Chatelaine hatte angebissen.
Er macht einen reichlich kopfscheuen Eindruck…
Für einen Moment trübte das Rot blinder Wut Mikkas heiles Auge.
Auch Nick ging flott, hatte offenbar vor, den gewonnenen Vorteil eilends auszunutzen. Als er an Mikka vorüberkam, grapschte er nach ihrem Arm, zog sie mit. Seine Finger krallten sich heiß wie Feuer in ihre Muskeln; seine gesamte Erscheinung schien Hitze auszustrahlen wie ein Schmelzofen. »Du lebst gerne verdammt gefährlich, was?« raunte er, den Mund an ihr Ohr geneigt. »Ich hatte dir befohlen, vor der Tür aufzupassen, bis wir fertig sind.«
Langsam klärte sich Mikkas Sicht. Sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen; wußte ihm nichts entgegenzuhalten. Nicht hier und unter diesen Umständen. Möglicherweise nie. Mit tonloser Stimme wiederholte sie die Darstellung, die sie Klimpt und Retledge gegeben hatte. Daß Nick ihr glaubte, erwartete sie nicht: sie beabsichtigte lediglich Zeit herauszuschinden, bis sie Ciro wiedersah.
»Das ist wahr«, bemerkte Sib, kaum daß sie verstummt war, in naiver Hilfsbereitschaft, als dächte er, Nick hätte für ihn Gehör.
Doch Nick erübrigte für Sib keine Beachtung; seine Geringschätzung für den früheren Datensysteme-Hauptoperator ließ sich nachgerade mit Händen greifen. »Es soll mir egal sein«, antwortete er Mikka leise. »Es ist zu spät, als daß
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