Amnion 4: Chaos und Ordnung
Lebwohl.« Ihre Stimme klang neutral, weder nach Aufmunterung noch nach Ungeduld.
»Keine Bange«, entgegnete Hashi, als wäre er der Hofnarr des VMKP-HQ. »Das Shuttle fliegt bestimmt zur festgelegten Uhrzeit ab.«
Als wäre damit ein Stichwort gefallen, drückte der Sicherheitsdienstler, indem er aufs Blinken einer Leuchtfläche reagierte, an der Kontrolltafel Tasten; sofort rollte die schwere Luke zu. Mit hörbarem Wumsen schlossen sich Verriegelung und Abdichtung. Der Mann nahm einen kurzen Systemtest vor und schnallte sich anschließend in seinen G-Andrucksessel.
Maschinengebrumm durchdröhnte den Rumpf. Für den Shuttle-Antrieb war es noch zu früh. Ein Teil des dumpfen Gerumpels stammte vom Startkatapult des Docks, im VMKP-HQ-Jargon ›die Schleuder‹ genannt, das das Shuttle ins Dunkel des Alls hinausbefördern sollte. Den Rest der herben Geräuschkulisse erzeugten die großen Servomotoren, die das Hangartor zum Weltraum öffneten. In diesen Lärm knisterte aus der Interkom eine Stimme. »Achtung, Achtung, Start in dreißig Sekunden. Beschleunigung zwo Ge.«
Zwo? dachte Hashi Lebwohl. Hui. Es gab keine theoretische Begründung, weshalb das Startkatapult das Raumfahrzeug nicht sanft wie auf einem Kissen, so daß man den Andruck gar nicht spürte, ins Vakuum entlassen könnte. Koina Hannish hatte es eilig.
Flüchtig fragte sich Hashi, ob er eigentlich noch gesund genug war, um mit einer Gewalt in den Sitz gewuchtet zu werden, die seinem doppelten Körpergewicht entsprach. Dann grinste er. Es war nämlich zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen: viel zu spät. Als wäre er auf die Brille angewiesen, nahm er sie von der Nase und zwischen die Hände, damit sie ihm nicht vom Gesicht gerissen wurde.
Sobald man den Andruck spürte, faßte Koina Hannish ihr Bündel Blätter fester; darüber hinaus merkte man ihr keine Probleme an.
Dann war das Startmanöver vorüber: Das Shuttle entfernte sich vom VMKP-HQ. Schwerelosigkeit packte Hashis Magen, so daß er ihm zur Kehle heraufzuschweben schien, ein widerwärtiges Gefühl, das jedoch endete, wenn das Raumfahrzeug unter den Einfluß der Erdschwerkraft geriet. Lebwohl fiel auf, daß er die Luft anhielt. Langsam atmete er aus. Eine Art von mentaler Inspektionsinstanz teilte ihm mit, daß seine Organ- und Körperfunktionen so gut abliefen, wie es unter diesen Umständen zu erwarten war.
Er setzte sich die Brille wieder auf die Nase und widmete seine Beachtung erneut der RÖA-Direktorin.
Sie betrachtete ihn, als wäre ihre Unterhaltung nie unterbrochen worden. »Ich warte darauf«, stellte sie gelassen klar, »daß Sie mir verklickern, warum Sie an Bord sind.«
Beifällig nickte Hashi Lebwohl. Ihn vergnügte die Undurchschaubarkeit ihrer Fassade. Sie wuchs mit den Herausforderungen ihrer neuen Position. Binnen weniger Tage hatte sie ein stärkeres Selbstbewußtsein entwickelt. Sie wirkte entschiedener und konzentrierter. Entfaltete sie sich so weiter, mußte sie bald ein Dutzend Godsen Friks wert sein.
»Schön«, antwortete er, »dann will ich’s Ihnen verraten. Die Wahrheit ist« – Wahrheit: was für ein allgegenwärtiges, vielseitiges Wort –, »daß mir ein, zwei kleinere Fakten bekannt sind, über die Sie meiner Meinung nach einmal nachdenken sollten. Hauptsächlich bin ich allerdings hier« – er wies auf den G-Andrucksessel – »statt anderswo, weil ich hoffe, Sie können mir zu ein paar Aufschlüssen verhelfen.«
Mit ausdrucksloser Miene wölbte Koina Hannish die Brauen, ohne etwas zu entgegnen.
»Wissen Sie«, erklärte Hashi, »ich habe vor, die nun bevorstehende, voraussichtlich ebenso einzigartige wie ungewöhnliche Sonderssitzung unseres hochgeachteten Erd- und Kosmos-Regierungskonzils zu besuchen. Es ist denkbar, daß die ehrenwerten Konzilsdeputierten den Wunsch verspüren, mir Fragen zu stellen.« Das jedoch war der belangloseste der Grunde für seinen Flug zur Erde; indes fühlte er sich nicht gezwungen, auch seine sämtlichen anderen Beweggründe zu nennen. Allgemein war bekannt, daß Sonderbevollmächtigter Maxim Igensard permanent auf der bedingungslosen Forderung beharrte, Hashi Lebwohl mit weiteren Fragen piesacken zu dürfen. »Natürlich sind meine Auskünfte profilierter – oder vielleicht sollte ich der Einfachheit halber sagen, besser auf die VMKP-Politik abgestimmt –, wenn ich mich vernünftig darauf einstelle. Und ich bin davon überzeugt, meine liebe Koina, daß Sie dazu befähigt sind, mich vernünftig
Weitere Kostenlose Bücher