Amnion 4: Chaos und Ordnung
Lebwohl aus, daß ich befürchte, es gibt einen weiteren Anschlag. Angeblich hatte sie die Äußerungen des Kapitäns wörtlich wiederholt. Während der kommenden Konzilssitzung. Machen Sie ihm klar, wenn er sich je als echter Polizist verstanden hat, wenn ihm die Sauberkeit der VMKP wichtig ist oder er im Human-Kosmos Recht und Gesetz herrschen haben will – oder von mir aus, wenn er nur seinen Ruf wahren möchte –, muß er um jeden Preis Kaze aus dem Beratungssaal fernhalten.
Hashi wiederum hatte den OA-Sicherheitschef über die Warnung informiert, den Mann, der zur Zeit die Verantwortung für den Schutz des Konzils trug. Manche Leute hätten Kapitän Vertigus’ Wink womöglich als Panikmache eines senilen Alten abgetan. Hashi Lebwohl sah die Sache anders. Nach seiner Einschätzung war jemand, der Godsen Frik als des Ermordens wert erachtete, zu allem fähig.
Aber natürlich wäre der Nichtsnutz und Widerling Godsen Frik nicht ums Leben gekommen, hätte er dem Ruf des Drachens gehorcht; hätte nicht Warden Dios, anscheinend um ihn zu schützen, seine Bewegungsfreiheit aufs VMKPHQ beschränkt. Ein faszinierendes Zusammenfallen voller bemerkenswerter Implikationen und Unklarheiten. Wüßte man, welche Ereignisse geschahen, könnte man absehen, wohin sie führten. Wüßte man, wohin sie führten, könnte man sie nicht mehr erkennen.
Sixten Vertigus’ Warnung lieferte Hashi Lebwohl einen Anlaß, aus dem er beschlossen hatte, an der Konzilssondersitzung teilzunehmen.
Ein zweiter Grund war, daß er mit Koina Hannish zu sprechen beabsichtigte, Dios’ neuer VMKP-RÖA-Direktorin.
Er erregte ihre Aufmerksamkeit, als er die Passagierluke des Shuttles durchquerte. Sie las in einem Bündel Computerausdrucken, zweifellos Informationen, die sie auf ihre erste VMKP-Sitzung vorbereiten sollten. Aus Verblüffung schaute sie ihn aus großen Augen und mit leicht geöffneten Lippen an. Ihre natürliche Anmut jedoch ließ sie nicht im Stich; sie mochte verdutzt sein, aber ihr blieb keineswegs – wie der gute, alte, inzwischen verewigte Godsen Frik sich ausgedrückt hätte – ›die Spucke weg‹. Ihre Miene blieb beherrscht, als Lebwohl auf den Platz neben ihr zutappte, sich hineinwarf und den Kopf auf die Schulter neigte, um sie über seine schmutzigen Brillengläser hinweg anlinsen zu können. Sie lächelte sogar, allerdings nur mit den Mundwinkeln.
»Direktor Lebwohl«, sagte sie halblaut, »Sie versetzen mich in Erstaunen. Bringen persönliche Gründe Sie zu mir, oder sind Sie der Meinung« – sie wedelte mit dem Bündel Papieren –, »meine Informationen seien unzureichend? Dann müßten Sie sich leider mit der Unterweisung kurz fassen.« Sie blickte aufs Kabinenchronometer. »Wir sollen in zwei Minuten ablegen.«
Bevor er antwortete, schenkte Hashi ihr sein freundlichstes Grinsen, jenes nämlich, mit dem er wie ein wohlwollender, lustiger und leicht irrer Onkel aussah. »Meine liebe Direktorin Hanish« – humorig betonte er ihren Rang –, »ich würde mir niemals anmaßen, Ihnen kurzgefaßte Unterweisungen zuzumuten.« Das war ein Späßchen: ihm wurde häufig nachgesagt, er wäre zum Sichkurzfassen unfähig. »Sie wissen über Ihre Aufgaben viel besser als ich Bescheid. Und ich würde Sie zu einem solchen Zeitpunkt nie mit persönlichem Kram belästigen.«
Er verstummte und schwieg, als hätte er damit eine hinlängliche Erklärung von sich gegeben.
An der Vorderseite der Passagierkabine stand ein OA-Sicherheitsmitarbeiter und ließ den Blick über Hashi Lebwohl, Koina Hannish und die übrigen Fluggäste schweifen: Außer den beiden flogen zwei Untergebene der RÖA-Direktorin, ein Sicherheitsdienst-Kommunikationstechniker sowie der Vize-Sicherheitschef Forrest Ing mit. Merklich voller Unbehagen räusperte sich der Mann. »Direktor Lebwohl«, sagte er, »es dürfte besser sein, Sie schnallen sich an. Wir haben Starterlaubnis und legen ab, sobald die Luken dicht sind.«
Hashi zwinkerte, als wäre der Ratschlag ihm unbegreiflich. Dann jedoch schnaufte er, als wäre bei ihm gerade der Groschen gefallen, und tastete nach den Gurten des Andrucksessels. Sobald er sich festgeschnallt hatte, schmunzelte er Koina Hannish nochmals zu.
»Ich habe viel zu lange hier im VMKP-HQ in meiner Bude herumgehockt. Da vergißt man leicht die alltäglichen Kleinigkeiten des Reisens.«
Koina Hannishs Mund hatte einen ernsteren Ausdruck angenommen. Für einen Moment musterte sie Hashi versonnenen Blicks. »Ich warte, Direktor
Weitere Kostenlose Bücher