Amnion 4: Chaos und Ordnung
Achtlosigkeit so handelte, auch wenn sie sich wahrscheinlich nicht denken konnte, aufgrund welcher Überlegungen ihm daran gelegen sein sollte, seine Erörterungen mit ihr in gewissem Sinn ›öffentlich‹ zu führen. »Ein fairer Vorschlag«, sagte sie statt dessen leise und wartete auf das Kommende.
»Sind Sie mit Lane Harbinger bekannt?« fragte Lebwohl.
Koina schüttelte den Kopf. »Der Name ist mir geläufig. Sie ist die Enkelin Malcolm Harbingers. Aber wir sind uns nie persönlich begegnet.«
»Schade«, bemerkte Hashi ironisch. »Sie haben vieles gemeinsam.« Doch schon unterdrückte er vorsichtshalber seine humorige Anwandlung. Lane Harbinger war eine nervöse, umtriebige Frau und verkörperte nahezu das direkte Gegenteil der RÖA-Direktorin, und er hatte sich Hannish gegenüber zu einer Haltung faktenbezogener Wahrheitstreue entschlossen. »Aber das ist im Moment belanglos. Es geht mir um ihre aktuellen Arbeitsergebnisse. Sie hat nach Godsen Eriks Ermordung im Auftrag der Datenakquisition das Indizienmaterial analysiert, das wir am Tatort gefunden haben.«
Er spürte hinter sich Bewegung. In den Augenwinkeln gewahrte er, daß Forrest Ing in einen näheren G-Andrucksessel überwechselte, um besser hören zu können. Der OA-Sicherheitsdienst – die gute Min Donner und all ihre rauhbeinigen, fleißigen Helferlein – hatte nämlich keine Indizien entdeckt.
»Bei gewissenhafter Untersuchung des Büros Ihres früheren Vorgesetzten«, erklärte Hashi, ohne zu stocken, »sind wir auf ein winziges Bruchstück der Id-Plakette des Kaze gestoßen. Um genau zu sein, auf ein winzigkleines Fragment des KMOS-SAD-Chips der Plakette.« Verstehen Sie auch alles, Vize-Sicherheitschef Ing? Diese Einzelheiten sind in Berichten enthalten, die die DA-Datenverwaltung inzwischen an die Operative Abteilung weitergeleitet hat. »Seitdem ist Lane Harbinger damit beschäftigt gewesen, die Daten zu exzerpieren, die in diesem Teilchen des Chips vorhanden geblieben sind. Sind Sie an technischen Details interessiert?« Seine Frage war rein betulicher Art.
Koina Hannish schüttelte nochmals den Kopf. »Dann will ich Ihnen die Ergebnisse kurz und bündig erläutern«, versprach Hashi. »Schlicht ausgedrückt, ein KMOS-Chip verändert seinen Zustand – oder, im Fall eines KMOS-SAD-Chips, ergänzt ihn –, wenn ein dafür geeignetes Signal auf Ab- und Zuleitung einwirkt. Gelesen wird der Chip durch umgekehrte Einwirkung. Bedauerlicherweise fehlen diesem derartig winzigen Fragment« – er legte Daumen und Zeigefinger aneinander, um die Kleinheit des Fundstücks anzudeuten – »diese Eigenschaften, also Ab- und Zuleitung. Weil deswegen die normalen Methoden zum Lesen des Chips nicht anwendbar sind, war Lane Harbinger zur Improvisation gezwungen. In den vergangenen Stunden, meine liebe Koina, hat sie sich selbst übertroffen. Um Sie nicht mit technischen Finessen zu langweilen, möchte ich lediglich feststellen, daß sie Mittel ersonnen hat, um das Bruchstück mit anderen, lesbaren Chips zu verbinden. Auf diese Weise hat sie Zugriff auf den Inhalt des Chips erhalten.«
Koina Hannish hob die zierlichen Brauen, um ihr Interesse zu zeigen, aber unterbrach ihn nicht. Hashi fühlte, wie sich hinter seinem Rücken Forrest Ing näher beugte.
Lebwohl schmunzelte und verlegte sich aufs Lehrerhafte.
»Wie Sie sich wohl denken können, ist der Inhalt so bruchstückhaft wie der Chip selbst. Allerdings ist der Restinhalt bemerkenswert, sogar äußerst bemerkenswert. Zweifellos ist Ihnen bekannt, daß wir, die Vereinigte-Montan-Kombinate-Polizei, der einzige Produzent von KMOS-SAD-Chips sind, den die Menschheit hat. Zudem sind die VMKP und das Regierungskonzil die einzigen legitimen Benutzer solcher Chips. Jede Anwendung hat entweder mit der einen oder anderen Institution zu tun. Der eigentliche Hersteller ist jedoch ein Unternehmen mit dem kuriosen Namen Anodynum-Systemwerke. Bestimmt ist Ihnen auch bewußt, daß die Anodynum-Systemwerke eine hundertprozentige Tochterfirma der Vereinigten-Montan-Kombinate sind.«
Folglich standen die Anodynum-Systemwerke, obwohl die VMKP das gesamte Personal und den Schutzdienst stellte, in gewissem Umfang auch Holt Fasner offen.
»Wie aus den von mir beschriebenen Zusammenhängen hervorgeht«, setzte Hashi Lebwohl seine Darlegungen fort, »steht unser ehrenwertes Regierungskonzil in keinem direkten Kontakt mit den Anodynum-Systemwerken. Das Regierungskonzil wird von uns mit KMOS-SAD-Chips beliefert. Darum ist
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