Amnion 4: Chaos und Ordnung
stützte sich auf eine Unwahrheit.
Erbost kratzte er sich längs der Ränder seines Gußverbands. Wenn er seine Hände mit nichts anderem beschäftigte, glitten seine Finger unwillkürlich über die Funktionstasten der Waffensysteme, verschmierten darauf Schweiß und Öl. Er nannte seine Leidenschaft ›Rache‹, damit sie ihn nicht zugrunde richtete.
»Was sagt Vector dazu?« fragte Sib Mackern zaghaft. »Weiß er, was er machen soll?«
Morn seufzte. Im ersten Moment erweckte sie den Eindruck, als drohte alte Müdigkeit sie zu überwältigen. Vielleicht ließ die Wirkung des Kats nach, das ihre Entzugserscheinungen dämpfte.
»Er kennt sich mit dem Antimutagen besser als jeder andere Mensch aus, es könnte sein, sogar besser als Hashi Lebwohl.« Langsam entkrampfte sich ihre Haltung. Ihre Hand rutschte an der Polsterung von Davies Andrucksessel hinab, senkte sich auf seine Schulter. »Er hat sich ziemlich optimistisch geäußert.«
Man sah ihr an, daß ihr plötzlich etwas einfiel. »Ach, noch etwas«, sagte sie. »Bei Chatelaine war ein Mann, der ihr dabei geholfen hat, Ciro das Mutagen einzuspritzen. Ciro glaubt, es war Milos Taverner.«
Obwohl er unentwegt weiterarbeitete, glomm auf einmal in Angus’ Augen ein Schimmer stummer Wut.
Davies reagierte nicht auf Morns Berührung. Er konnte nicht davon ablassen, er extrapolierte nochmals einen Kurs, brachte die Emissionen der Sturmvogel in Relation zu Flugroute und Geschwindigkeit der Posaune. Es gab keinen Zweifel: die Sturmvogel vergrößerte weiterhin den Abstand. Bald mußte sie so weit voraus sein, daß nicht einmal die Posaune sie noch einholen konnte.
Er mußte sich gedulden, bis die Ex-Liquidator zurückkam, um ihn zu liquidieren.
Auf sonderbare Weise beschwichtigte Ciros Schicksal Davies’ Enttäuschung. Wenn man auf der Sturmvogel einen Sabotageakt an Bord der Posaune erwartete, fiel es leichter zu glauben, daß die Mörderin seiner Mutter, seiner Großmutter, zurückkehrte.
Zwanzig Minuten später läutete die Interkom-Anlage.
Angus aktivierte die Lautsprecher so schnell, daß Davies dazu gar keine Gelegenheit erhielt.
»Hier ist Vector«, ertönte die ruhige Stimme des Genetikers. »Ich bin im Krankenrevier. Morn? Angus?«
Sein Tonfall war neutral, frei von jeder Andeutung.
»Hier«, meldete Angus sich augenblicklich.
»Angus«, sagte Vector, »das ist ja ein höchst erstaunliches Krankenrevier. Ich wußte nicht, daß die VMKP so was baut. Da sind Analysedaten verfügbar, im Vergleich zu denen manche Kliniken, die ich kenne, reichlich dumm dastehen. Wäre die Ausstattung noch ein bißchen besser, könnte sogar Deaner Beckmann sie gebrauchen.«
Mit einem Ruck wirbelte sich Morn um Davies’ G-Andrucksessel. Per Daumendruck schaltete sie an seiner Kontrollkonsole das Mikrofon ein.
»Geht die Sache gut?« fragte sie eindringlich.
»Oh, Verzeihung, Morn«, antwortete Vector. »Ich hatte nicht vor, euch auf die Folter zu spannen. Ja, es geht gut. Ich habe schon eine neue Blutprobe untersucht und gesehen, daß es klappt.«
»Gott sei Dank«, wisperte Sib. Angus nickte vor sich hin; sonst enthielt er sich jeder Regung.
Davies schwitzte in seiner Bordmontur, als bestünde er aus erhitztem Wachs.
Plötzliche Erleichterung beengte Morn die Kehle wie ein angestautes Schluchzen. Sie gab einen unterdrückten, erstickten Laut von sich, ließ von der Kontrollkonsole ab und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Durch diese Bewegungen trieb sie von der Kontrollkonsole des Ersten Offiziers fort, entfernte sich von Davies, als wünschte sie nicht in seiner Nähe zu sein.
Als könnte sie die Nähe seiner wutentbrannten Rachgier nicht ertragen.
Komm und leg dich mit mir an, flehte Davies hinaus ins statikdurchknisterte Trudeln des Asteroidenschwarms, in die Kälte des Weltalls. Komm und tu, wofür dich die Amnion Mensch bleiben lassen. Ich bin es, den du kaschen mußt. Die Amnion wollen mich lebend haben.
Glaube ruhig, bei uns hätte Sabotage stattgefunden. Komm und versuch dein Glück.
Bitte.
Vector war noch nicht fertig. Nach kurzem Schweigen erklang seine Stimme noch einmal aus den Lautsprechern.
»Darf ich fragen, was im Moment abläuft?«
»Lieber nicht«, entgegnete Angus schroff. Sein Blick folgte Morn, er beobachtete ihr Beiseitetreiben, als drängte es ihn, sich loszuschnallen und zu ihr zu schweben, sie anzufassen – als dächte er, sie könnte seine Berührung verkraften. »Kümmere dich um Ciro. Sieh zu, daß er die Geschichte
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