Amnion 4: Chaos und Ordnung
schneller zu fliegen.
Die Posaune flog nach Davies’ Ansicht zu langsam, folgte der Partikelspur der Sturmvogel zu gemächlich, hielt sich zu pedantisch an die von der Kommunikationszentrale des Schwarzlabors vorgegebene Abflugstrajektorie; Angus war aus Sorge, meinte Davies, zu vorsichtig. Davies wollte die Triebwerke zum Glühen bringen wie sein Herz, doch Angus scherte sich nicht darum. Vielmehr konzentrierte er sich auf Daten, die Davies nicht zu deuten verstand, auf Fragen, die Davies nicht einmal als des Aufwerfens wert erachtete.
Trotz des Bluts auf seinem Rücken und der nach wie vor bis zur Taille heruntergezogenen Bordmontur hatte Angus einer Maschine nie stärker als momentan geähnelt: er schien gefühllos, mechanisch und unnahbar zu sein.
Es fiel Davies kaum auf, daß Vector die Brücke verließ. Er kümmerte sich nicht um Sib Mackerns schweißige Ängstlichkeit, während der ehemalige Datensysteme-Hauptoperator zwischen den Kontrollkonsolen umherschwebte, ostentativ auf Nick aufpaßte, obwohl Nick sich so gut wie nicht rühren konnte. Angus arbeitete, Sib schwitzte, Nick ächzte und kicherte abwechselnd wie jemand, der ein inneres Ringen durchstand, das ihn bisweilen amüsierte; unterdessen errechnete Davies beharrlich immer neue Kursprojektionen, verglich in geradezu fieberhafter Betriebsamkeit Angus’ Entscheidungen mit den Flugverkehrsinformationen der Schwarzlabor-Kommunikationszentrale und den von Deaner Beckmann zur Verfügung gestellten Asteroidenschwarm-Karten; immer wieder berechnete und neuberechnete er den Abstand zwischen Posaune und Sturmvogel.
»Sie haut uns ab«, knirschte er zum zehnten- oder zwölftenmal.
Angus tippte Befehle ein, als hätte er nichts gehört. »Was macht Morn?« fragte er, ohne den Kopf zu haben. »Wofür braucht sie Vector?«
Davies’ Gußverband und das Jucken des Heilvorgangs nervten ihn beträchtlich: noch eine Ablenkung. Er mahlte mit den Zähnen. »Sie hängt uns ab. Du läßt sie uns davonfliegen.«
Mit durch und durch künstlicher Ruhe nahm Angus den Blick von den Anzeigen.
»Du vergeudest meine Zeit«, entgegnete er Davies unumwunden. »Wenn du nicht den Mund halten kannst, sag etwas Nützliches. Erkläre mir, weshalb die Kommunikationszentrale uns genau den gleichen Kurs wie der Sturmvogel zugewiesen hat.«
Allem Anschein nach konstatierte er damit die Wahrheit. Ohne Rücksicht auf die immensen statischen Störungen im Asteroidenschwarm stimmte die der Posaune zugeteilte Abflugstrajektorie zu sehr mit den entsprechenden Daten der Sturmvogel überein, als daß ein Zufall hätte vorliegen können. Jeder Flugabschnitt und jedes Ausweichmanöver, die Angus zwischen den Felsbrocken zu beachten instruiert worden war, deckte sich weitgehend mit dem Verlauf der Partikelspur, die die Sturmvogel hinterlassen hatte.
»Wen interessiert das schon?« erwiderte Davies verbittert. »Vielleicht waren sie zu faul, um für uns ’ne eigene Abflugstrajektorie zu konzipieren. Welchen Unterschied besteht denn deswegen?«
Wenn wir die Flugrichrung der Sturmvogel kennen, können wir doch erst recht schneller fliegen.
Sib wartete nicht auf eine Erklärung Angus’. »Es ist nicht normal«, bemerkte er voller Unbehagen. Anscheinend vermochte er schier gar keine Ruhe mehr zu finden: obwohl Nick jetzt im Effekt machtlos war, hielten alte Ängste Mackern unter Hochspannung. »Einrichtungen wie das Schwarzlabor streuen den Verkehr so weit wie möglich. Sie möchten verhindern, daß ein Raumschiff die Identität eines anderen Raumers vortäuscht, um einen geplanten Überfall zu kaschieren. Und sie wollen in ihrem Umkreis keine Konfrontationen zwischen Raumschiffen. Gibt es Ärger, wird das Geschäft beeinträchtigt, egal wer gewinnt. Aber das ist noch nicht alles.«
Sib hatte seine Pistole in der Hand. »Die Sorte Raumschiffkapitäne, die hier aufkreuzt, will sich überhaupt nicht aus der Nähe sehen. Diese Leute möchten gar nicht wissen, wer sich eventuell an Kontrahenten in derselben Gegend aufhält. Und sie wünschen nicht, daß irgend jemand merkt, wohin sie fliegen.«
Nick stieß ein ersticktes Lachen aus.
Angus heftete einen finsteren Blick auf Davies. »Es sieht mir ganz danach aus, als hätt’s der Sausack Beckmann direkt darauf angelegt, daß wir der Sturmvogel nachfliegen, oder nicht?« Als Davies keine Antwort gab, sprach er weiter. »Das Problem ist, ich verstehe nicht warum. Was hätte er dadurch zu gewinnen? Was kann er von Chatelaine erfahren haben, das
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