Amnion 4: Chaos und Ordnung
Drumherum gab Angus der Kommandokonsole einen Befehl ein, drehte dann seinen G-Andrucksessel, um auf dem Monitor die Resultate sehen zu können. »Wir nähern uns einem Felsen, der mir für eure Absicht passend vorkommt. Er ist groß genug, um sich zu verstecken, aber nicht so groß, daß ihr dadurch Schwierigkeiten habt. Also, Zeit zum Handeln.«
Er maß Sib energischen Blicks. »Zieh die Sache richtig ab«, knurrte er. »Geht sie schief, fühlen wir alle uns nachher ganz schön beschissen. Bring ihn zum Schrank mit den EA-Anzügen. Wenn er ’n Anzug trägt, fessle ihm wieder die Arme auf ’n Rücken. Die Waffen beförderst du. Ich steuere das Schiff nah an dem Asteroiden vorbei, ihr könnt leicht hinüberschweben. Falls ihr Lenkdüsen einsetzen müßt, die Anzüge haben welche. Nimm ihm die Fesseln nicht ab, ehe wir außer Reichweite sind. Danach wird er wohl nichts gegen dich unternehmen. Wenn er noch nicht völlig verrückt ist, muß ihm klar sein, daß er vielleicht deinen Beistand braucht. Funkkontakt können wir nicht lange zu euch halten. Es sind zuviel Felsmassen im Weg, und es hat zu starke Statikstörungen, und wir verfügen nicht über Beckmanns Relaissystem. Aber die EA-Anzüge haben Notsender, durch die wir euch später finden können. Falls wir nicht kommen, könnt ihr davon ausgehen, daß es uns unmöglich ist.«
Angus machte eine schroffe Gebärde des Abschieds. »Los!«
Vorsätzlich konzentrierte er sich auf die Kommandokonsole, als wären Sib und Nick schon fort.
Davies wischte sich die Augen, klärte seine Sicht. Wenigstens für kurze Zeit hatte seine Erleichterung alles verändert. Für den Augenblick war sein inwendiger Schwelbrand erloschen. An seine Stelle war angesichts des Risikos, das Sib freiwillig auf sich nahm, Scham getreten.
Weil er irgendwie seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen mußte, entschloß er sich dazu, Sib in bezug auf Nick behilflich zu sein.
Sib nickte ihm zu, während Davies das Isolierband vom Haltegriff löste, an dem man Nick befestigt hatte, aber er sprach kein Wort. Inzwischen harte seine Entschiedenheit die Form dumpfen Elends angenommen. Vor lauter Angst hatte er schweißigfeuchte Haut; die Nässe in seinen Augen glich verflüssigter Furcht.
Nick schenkte ihnen überhaupt keine Beachtung. Er brabbelte unterdrückt vor sich hin, wiederholte überglücklich immer die gleichen Sätze. »Arme Sau. Sie ist schon so gut wie tot und ahnt’s noch gar nicht. Sie hat zum letztenmal über mich gelacht. Arme Sau.«
Gemeinsam schoben Sib und Davies ihn zur Konnexblende.
»Davies.«
Morns gedämpfte Stimme hielt ihn geradeso wirksam zurück wie eine auf seine Schulter gelegte Hand. Er verschaffte sich Halt am Geländer und wandte sich nach ihr um.
»Was ist in dich gefahren?« fragte sie ein zweites Mal. Ihre Augen blickten so düster drein, als hätten sich im Abgrund zwischen den Sternen Klüfte geöffnet. »Was bist du für ein Mensch?«
Sofort war seine Erleichterung dahin: neue Glut in seinem Gemüt fraß sie hinweg. Eine Hitze durchwallte ihn, die auf Zorn zurückgehen mochte, heftig wie der Haß seines Vaters. Als er sie gebraucht hatte, war ihr Rückhalt ausgeblieben. Anstatt ihn zu unterstützen, ihm zu helfen, hatte sie vor ihm Furcht.
»Soviel ich weiß«, antwortete er, als knirschten ihm die Wörter zwischen den Zähnen, »bin ich Bryony Hylands Tochter. Die Tochter, die sie hatte, ehe du deine Seele für ein Zonenimplantat verkauft hast.«
Bitterkeit vergiftete hinter ihm die Atmosphäre, während er Nick und Sib hinter sich durch die Konnexblende von der Brücke zog.
SIB
Sib Mackern wollte verschont bleiben. Rückblickend war er der Ansicht, daß er sein gesamtes Leben lang keinen anderen Wunsch verspürt hatte. Die Ursache lag vielleicht darin, daß ihm so wenig erspart geblieben war; seine ganze Lebensgeschichte bestand aus einer Aneinanderreihung unbeachteten Flehens.
Verschont mich.
Nein.
Sein Name war ein Kürzel für ›Sibal‹: Seine Mutter hatte eigentlich ein Mädchen haben wollen. Seit er davon wußte, wünschte er sich inständig, von seinem Namen verschont geblieben zu sein.
Nein.
Die Arbeit an Datensystemen hatte ihm nie Spaß gemacht, und ebensowenig mochte er den Weltraum oder Raumfahrzeuge. Am wenigsten hatte er für den Erzfrachter seiner Familie übrig gehabt. Verschont mich damit, hatte er gebeten – nicht mit Worten, doch auf jede andere erdenkliche Art und Weise, in der ein Mensch seinen Empfindungen
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