Amnion 4: Chaos und Ordnung
Wirbel knackten. »So ist’s besser«, knurrte er. »Nun kommen wir voran.«
Plötzlich sah er wieder wie der Alte aus: selbstbewußt, pfiffig und unschlagbar. Alle Anzeichen des Tics, der bisweilen seine Selbstgefälligkeit minderte, waren verflogen. Er betrachtete Sibs Waffe, hob die Brauen und verzog den Mund zu einem Grinsen gespielten Bedauerns, dann stieß er ein Lachen aus und drehte sich um, öffnete einen Wandschrank.
»Wo steckt das Ding, das ich letztes Mal getragen habe?« fragte er. »Ach, da ist es ja.«
Er pfiff unmelodisch vor sich hin, während er einen EA-Anzug herausholte und überstreifte.
Er checkte die Indikatoren und Verschlüsse des Anzugs so sorgsam und gelassen, als wüßte er genau, daß nichts schieflaufen könnte; stülpte den Helm über und schloß die Verriegelung, klappte die Sichtscheibe zu. Langsam verschwanden seine Gesichtszüge, nachdem er die Polarisierung aktiviert hatte. Ein Fauchen ertönte, als er den Anzug aufblies.
»Bist du fertig?« fragte Nick, obwohl er nicht sicher war, ob Nick ihn hören konnte.
Aber Nick hatte den Helmfunk eingeschaltet. Sein Außenlautsprecher knackte. »Na los doch«, verlangte er. »Ich will diesen Teil hinter mir haben.«
Er bog die Arme nach hinten, um es Sib und Davies zu erleichtern, ihn zu fesseln.
Nicks Selbstvertrauen schüchterte Sib beinahe ebenso nachhaltig ein wie ihr gemeinsames Vorhaben. Er selbst jedoch hatte diese Entscheidung herbeigeführt: nun mußte er den Plan bis zum Ende durchstehen. Tat er es nicht, müßte der Schmerz nochmals verweigerter Barmherzigkeit mehr sein, als er zu verkraften vermochte.
Er warf Davies die Rolle Isolierband zu und hielt die Pistole auf Nick gerichtet, während Davies ihm die Arme fesselte.
Danach war er an der Reihe. Er zögerte nicht; sein ganzes Leben hindurch hatte er gezögert und damit nur alles verschlimmert. Verschont zu bleiben hatte seinen Preis. Immer. Unausweichlich. Er reichte die Pistole Davies, suchte einen EA-Anzug aus und legte ihn an.
Der Druck des Waldo-Geschirrs um seine Hüften erinnerte ihn daran, daß er auf Thanatos Minor nicht so recht imstande gewesen war, die Lenkdüsen zu bedienen. Womöglich klappte es unter Null-G-Bedingungen besser. Oder vielleicht zündete er sie falsch; sauste vom Raumschiff und Nick fort, zwischen das Asteroidengewirr, verirrte sich in aussichtsloser Weise…
Sollte das geschehen, mußte er die Gefährten an Bord der Posaune anbetteln, ihn zu bergen.
Er vertraute Morn und Davies. Er traute Mikka und Vector. Dennoch kannte er seit langem die Antwort.
Verschont mich.
Nein.
»Gib mir ’n Stück Isolierband«, sagte er zu Davies. »Ich will mich bei ihm ankoppeln. Mit den Lenkdüsen kann ich nicht so gut umgehen. Sonst finde ich, falls wir getrennt werden, eventuell nicht mehr zu ihm zurück.«
Davies nickte; er hatte mitangesehen, welche Umstände Sib auf Thanatos Minor mit den Lenkdüsen gehabt hatte. Während Sib den EA-Anzug checkte und den Helm verschloß, befestigte Davies einen zehn Meter langen Streifen Isolierband an Nicks Handgelenk und faltete die klebfähige Seite zusammen, um daraus einen Strang zu bilden.
Die Airoprozessoren des EA-Anzugs erzeugten in Sibs Lungen Druck. Zwar besagten die Anzeigen im Helminnern, daß die Anzugluft genau mit der Bordatmosphäre der Posaune übereinstimmte. Trotzdem war ihm zumute, als könnte er nicht mehr atmen. Mit den Kontrollen auf der Brust des Anzugs reduzierte er die Luftzufuhr und erhöhte statt dessen den Sauerstoffanteil. Von da an ließ die Beklemmung allmählich nach.
Den Helmfunk einzuschalten hatte er vergessen. Ohne etwas zu hören, sah er, daß Davies einen Moment lang den Mund bewegte, dann die Hand hob und an Sibs Kontrollen eine Funkfrequenz einstellte. Sofort aktivierte sich der Innenlautsprecher.
»Du mußt achtgeben, Sib«, sagte Nick. »Wenn du mich nicht hören kannst, können wir genausogut die Finger von der Aktion lassen. Dann läßt sich doch nichts ausrichten.«
»Ich nenne Angus eure Frequenz«, hörte Sib gleichzeitig Davies ankünden. »Solang ihr in Reichweite seid, hören wir euch. Unter den jetzigen Umständen wird’s aber höchstens ein paar Minuten dauern. Aber wenn ihr innerhalb dieser Zeitspanne Unterstützung braucht, ist’s wahrscheinlich noch möglich, etwas zu tun.«
Stumm nickte Sib, ehe ihm einfiel, daß Davies sein Gesicht nicht sehen konnte. Weil seine Kehle trocken war, schluckte er. »Alles klar«, gab er zur Antwort.
Davies
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